Bis eine europäische Patentanmeldung erteilt wird, dauert es regelmäßig 3 bis 5 Jahre, woran sich gegebenenfalls noch ein Einspruchsverfahren gegen das erteilte Patent anschließt, das wiederum 3 bis 6 Jahre bis zur endgültigen Erledigung dauern kann. Im Ergebnis liegt man damit noch unterhalb der maximalen Patentlaufzeit von 20 Jahren, gerechnet ab dem Anmeldetag der Anmeldung (Art. 63(1) EPÜ). Soweit normal – so gut.

Anders jedoch, wenn sich die Patenterteilung, z.B. bei spät eingereichten Teilanmeldungen, verzögert und/oder das erteilte Patent noch ein langes Einspruchsverfahren erfährt, ohne dass eine endgültige Entscheidung mit Ablauf der 20-jährigen Patentlaufzeit vorliegt. Da stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Erteilungs- oder Einspruchsverfahrens gibt. In zwei aktuellen Entscheidungen hat das EPA diese Frage wie folgt bejaht:

In der Entscheidung T 0910/18 vom 31. Mai 2022, bei der sich eine Anmeldung nach 20 Jahren noch im Prüfungsverfahren befand, bestätigte die Kammer die frühere Entscheidung T 0036/19, wonach der Anmelder ein inhärentes Interesse an der Fortführung des Verfahrens hat. Begründet wurde dies damit, dass einer europäischen Patentanmeldung bereits nach ihrer Veröffentlichung Rechte nach Artikel 67 EPÜ verliehen werden, zu denen auch ein angemessener Schadensersatz gehören kann, sofern der beanspruchte Gegenstand patentfähig ist und eine entsprechende Verletzung vorliegt.

In der weiteren Entscheidung T 0582/19 vom 19. Mai 2022, die sich auf ein Einspruchsverfahren bezog, bei dem das angefochtene Patent in allen Validierungsstaaten erloschen war, vertrat die Kammer die Auffassung, dass der Einsprechende im Rahmen seines Antrags auf Fortsetzung des Einspruchsverfahrens gemäß Regel 84 (1) EPÜ durchaus ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Einspruchsverfahrens habe. Begründet wurde dies damit, dass das Erlöschen des Patents in den Vertragsstaaten erst ab dem Zeitpunkt des Erlöschens wirksam ist („ex nunc“) und bis zu diesem Zeitpunkt noch mögliche Verletzer-Schäden abdeckt, der Widerruf des Patents im Rahmen des zu Ende zu führenden Einspruchsverfahrens aber von Anfang an wirksam ist („ex tunc“), was wiederum bedeutet, dass kein andernfalls zu ersetzender Schaden entstehen konnte.