Um schutzfähig zu sein, muss ein Geschmacksmuster neu und eigenartig gegenüber vorbekannten Geschmacksmustern sein. Vorbekannt sind ältere Muster jedoch nicht, wenn sie „den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein“ konnten (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung = GGV; ebenso § 5 Satz 1 GeschmMG). Nicht jedes vorveröffentlichte kritische Design ist damit zwangsläufig ein Hindernis für die Schutzfähigkeit. Es kommt auf die Art und Weise der Veröffentlichung an.
Die Dritte Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt hat sich in einer aktuellen Entscheidung eingehend mit Fragen zur Relevanz von Veröffentlichungen auseinandergesetzt (Entsch. v. 26.3.2010 – R 9/2008-3 – FOOTWEAR). Der Entscheidung lag ein Löschungsantrag gegen ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für Schuhe zugrunde, zu dessen Begründung vorgetragen worden war, die Anmelderin selbst hätte dieselben Schuhe früher
a) in Florida auf der Fort Lauderdale International Boat Show präsentiert,
b) in den USA verkauft und
c) im Internet angeboten.
Die Beschwerdekammer befasste sich mit allein drei Komplexen, um jedes Mal zu dem Schluss zu kommen, dass eine neuheitsschädliche Veröffentlichung vorliegt. Allerdings bezog sie in jedem Fall Umstände der konkreten Veröffentlichungshandlungen mit in die Beurteilung ein:
So stellte die Kammer in Bezug auf die Bootsmesse (Punkt a) darauf ab, dass dort bereits 1.000 Paar der Schuhe verkauft worden waren. Der Schutzrechtsinhaber selbst hatte den Messeauftritt auf seiner Website als „smashing success“ bezeichnet. Dass es sich um eine Boots- und nicht um eine Schuhmesse handelte sei unschädlich, weil sich die fraglichen Schuhe gerade für die Benutzung auf Sportbooten eigneten, so dass spezialisierte Schuhfachleute durchaus davon Notiz nehmen würden. Dies auch, weil die Messe sieben Monate vor dem Stichtag stattgefunden hatte, so dass in der Zwischenzeit mit einer entsprechenden Verbreitung der Nachricht über die Schuhpräsentation zu rechnen sei.
Bei den Verkäufen (Punkt b) wies die Kammer zunächst darauf hin, dass jeder Produktlaunch die Aufmerksamkeit von Fachkreisen auf sich zieht. Sie hob aber auch auf den Umfang der Verkäufe (10.000 Paar), die Dauer (10 Monate vor Stichtag) wie auch auf die Tatsache ab, dass Käufer ihre Schuhe zu tragen pflegen, was die Verbreitung des Designs in der Öffentlichkeit fördere.
Zur Website (Punkt c) hatte der Schutzrechtsinhaber eingewandt, diese sei, zumal sein Unternehmen gerade erst gegründet worden war, vor dem Stichtag praktisch nur wenigen Eingeweihten zugänglich gewesen, die die URL kannten. Hier ließ die Beschwerdekammer überhaupt nicht mit sich reden, weil die Website über eine Online-Bestellfunktion für die Schuhe verfügte.
Während der letzte Punkt reichlich klar ist, fällt bei den ersten beiden ersten beiden auf, dass die Kammer zu einer sehr einzelfallbezogenen Prüfung tendiert. Offenbar reicht nicht jeder Messeauftritt als solcher für eine neuheitsschädliche Offenbarung aus, und selbst der Beginn von Verkaufsaktivitäten (jedenfalls außerhalb der EU) muss für sich genommen nicht das Aus für ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster bedeuten. Für die Beurteilung der Schutzfähigkeit bedeutet das, dass im Zweifelsfall möglichst viele Gesichtspunkt in die Waagschale zu werfen sind. Entsprechend schwierig bleibt die Einschätzung der Erfolgsaussichten von Löschungsanträgen.