In unserem Beitrag vom 28. Juni 2007 berichteten wir von der Aufhebung eines BGH-Urteils in einem Nichtigkeitsberufungsverfahren durch das Bundesverfassungsgericht. Der BGH hätte den damals erkrankten gerichtlichen Sachverständigen anhören müssen, um die Verfahrensgrundrechte der Klägerin zu wahren.

Nachdem der BGH nun die Sachverständigenanhörung nachgeholt hatte, entschied er erneut über die Sache – wieder zu Lasten der Klägerin (Urt. v. 23.10.2007 – X ZR 275/02). Aus den Urteilsgründen geht nicht hervor, ob der BGH in der strittigen Auslegungsfrage von der Meinung des Sachverständigen abwich. Er stellte klar, dass es auf dessen Meinung gar nicht ankommt: Die Patentauslegung sei Rechtsfrage und damit allein vom Gericht selbst zu beantworten. Lediglich wenn

  • Fragen der objektiven technischen Gegebenheiten,
  • des Vorverständnisses der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen oder
  • die Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen sowie
  • die methodische Herangehensweise dieser Fachleute

das Verständnis des Patentanspruchs beeinflussen können, seien „ggfs.“ Sachverständige heranzuziehen. Der Fall zeigt anschaulich, wie sich das auswirkt:

Der strittige Patentanspruch enthielt Merkmale, die eine bestimmte Schweißnaht an einer Zündkerze beschreiben sollten. Nach den schriftlichen Gutachten könnte darunter sowohl eine konventionelle Schweißraupe zu verstehen sein, aber auch eine unkonventionelle Naht, bei der ein Schweißpunkt in einigem Abstand erst dann gesetzt würde, wenn der vorangegangene ein Stück weit abgekühlt war. Der BGH ging nicht etwa der Frage nach, welche Auslegungsvariante der Gerichtsgutachter persönlich bevorzugen würde. Stattdessen griff der dessen Hinweis auf, dass sich bei der konventionellen Methode das Zündplättchen verziehen könnte. Insbesondere aufgrund dieses Erfahrungswerts entschied sich der BGH dafür, dass das Patent die unkonventionelle Schweißnaht meinte. Einen so verstandenen Patentgegenstand sah der Senat als neu und erfinderisch an, so dass er die Berufung der Nichtigkeitsklägerin zurückwies.

Diese neue Handhabungsweise des BGH ist einerseits zu begrüßen, weil Patentprozesse damit weniger von einem einzelnen Gutachter abhängen werden. Andererseits wird die Verantwortung für die korrekte Patentauslegung aber auf die Richter und damit – was den BGH als Nichtigkeitsberufungsgericht und Verletzungsgerichte angeht – Nichttechniker verlagert. Für Patentanmelder heißt das, in verstärktem Maß mit sauberen Definitionen technischer Begriffe so weit wie möglich für Klarheit zu sorgen, um auslegungsbedingte Unsicherheiten gar nicht erst entstehen zu lassen.