Der Wert eines Patents wie auch der eines Gebrauchsmusters hängt maßgeblich von seinem „Schutzbereich“ ab, d.h. der Vielfalt an Gegenständen, auf die sich die Ausschließlichkeitsrechte des Schutzsrechtsinhabers erstrecken. Denn Patente und Gebrauchsmuster bieten nicht nur Schutz gegen identische Nachahmungen der in den Patent- und Gebrauchsmusterschriften offenbarten Vorrichtungen und Verfahren, sondern schützen die „Erfindung“ im Sinne einer abstrakten technischen Lehre losgelöst von einer konkreten Ausführungsform. Andernfalls könnten diese Schutzrechte zu leicht durch Umgehungslösungen ausgehebelt werden.
Der Schutzbereich bestimmt sich anhand der Patentansprüche bzw. Schutzansprüche beim Gebrauchsmuster. Dies legen Art. 69 des Europäischen Patentübereinkommens für europäische Patente (EPÜ) und in gleicher Weise § 14 des Patentgesetzes für deutsche Patente sowie § 12a des Gebrauchsmustergesetzes für deutsche Gebrauchsmuster fest. Zu Art. 69 EPÜ existiert ein Auslegungsprotokoll, das Leitlinien für die Schutzbereichsbestimmung enthält. Die deutschen Gerichte wenden dieses Protokoll auch auf deutsche Patente (z.B. BGH, Urt. v. 29.4.1986 – X ZR 28/85 – Formstein; BGH, Urt. v. 12.3.2002 – X ZR 168/00 – Schneidmesser I; Urt. v. 12.3.2002 – X ZR 43/01 – Kunststoffrohrteil) und Gebrauchsmuster (z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.6.2000 – 2 U 47/99 – Abflussrohre) an. Die Schutzwirkungen von Patenten und Gebrauchsmustern sind damit jedenfalls im Wesentlichen die gleichen (BGH, Beschl. v. 20.6.2006 – X ZB 27/05 – Demonstrationsschrank).
In der Mehrzahl der Patent- und Gebrauchsmusterstreitfälle nimmt die Frage der Schutzbereichsbestimmung die zentrale Rolle ein. Hierzu besagt das vorgenannte Auslegungsprotokoll, dass der Schutzbereich nicht nach dem „genauen Wortlaut“ der Patentansprüche zu bemessen ist. Die deutsche Rechtsprechung geht bereits seit längerem davon aus, dass stattdessen die Vorstellung eines (gedachten) Fachmanns durchschnittlichen Könnens auf dem einschlägigen technischen Gebiet, der sich den Zweck der einzelnen Merkmale und der Gesamtkombination der Merkmale im Anspruch vor Augen führt, maßgeblich sein soll (BGH, Urt. v. 9.5.1985 – X ZR 44/84 – Zuckerzentrifuge). Auf den von einem solchen „Durchschnittsfachmann“ dem Anspruchswortlaut beigemessenen „Wortsinn“ oder „Sinngehalt“soll es ankommen (BGH, Urt. v. 14.6.1988 – X ZR 5/87 – Ionenanalyse). Was vom Wortsinn erfasst wird, verletzt das Schutzrecht.
In den Schutzbereich können aber auch Ausführungsformen fallen, die vom Wortsinn des Anspruchs abweichen. Insbesondere eine „äquivalente Patentverletzung“ wird dann angenommen, wenn das durch die geschützte Erfindung gelöste Problem mit gleichwirkenden Mitteln gelöst wird, die der Durchschnittsfachmann mit Hilfe seiner Fachkenntnisse und aufgrund von Überlegungen auffinden konnte, die sich an der in den Patentansprüchen umschriebenen Erfindung orientieren (BGH, 17.3.1994 – X ZR 16/93 – Zerlegvorrichtung für Baumstämme).
In seinem Urteil „Pumpeinrichtung“ vom 17. April 2007 (Az.: X ZR 1/05) hat der BGH zu diese „Äquivalenzlehre“ in zwei Punkten weiter entwickelt:
Zum einen hat er klargestellt, dass es nicht erforderlich ist, dass das „gleichwirkende Mittel“ einem bestimmten Merkmal der angegriffenen Ausführungsform zugeordnet werden kann. Notwendig und hinreichend ist, dass die angegriffene Ausführungsform als Gesamtheit ein gleichwirkendes Ersatzmittel darstellt. Ein Äquivalenzangriff kann also nicht etwa daran scheitern, dass sich an der Verletzungsform kein konkretes einzelnes Merkmal als abgewandeteltes Mittel identifizieren lässt, das einem ganz bestimmten Merkmal des Anspruchs entspricht. Dies ist eine Verdeutlichung der bereits früher getroffenen Aussage, wonach ein ausgetauschtes patentgemäßes Lösungsmittel seine Entsprechung auch im Zusammenwirken mehrerer Austauschmittel finden kann (BGH, Urt. v. 29.4.1997 – X ZR 101/93 – Kunststoffaufbereitung).
Zum zweiten spricht der BGH im Hinblick auf die Äquivalenzprüfung nun von einem „Fragenkatalog“ für die Prüfung, ob eine nicht wortsinngemäße Ausführungsform vom Schutzbereich erfasst wird. Demnach müssen drei allerdings nicht als Fragen formulierte Bedingungen erfüllt sein:
- Erstens muss die angegriffene Ausführungsform das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit (zwar abgewandelten, aber) objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen.
- Zweitens muss der (gedachte) Durchschnittsfachmann aufgrund seiner Fachkenntnisse imstande sein, die Abwandlung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden.
- Drittens ist zu fordern, dass sich die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientieren, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige Lösung in Betracht zieht.
An sich sind diese Anforderungen der Äquivalenztheorie seit langem bekannt (s. etwa schon BGH, Urt. v. 14.6.1988 – X ZR 5/87 – Ionenanalyse). Neu ist die Verbindlichkeit, mit der der BGH ihre Beachtung einfordert. Demnach hat der Verletzungsrichter diesen Katalog grundsätzlich abzuarbeiten, wenn er die Frage zu beantworten hat, ob eine vom Wortsinn eines Anspruchs abweichende Ausführung in den Schutzbereich fällt. Andersartige, gleichwohl verletzende Abweichungen vom Wortlaut, die der BGH früher noch für denkbar gehalten hatte (Urt. v. 19.11.1991 – X ZR 9/89 – Heliumeinspeisung), sollen demnach nicht mehr möglich sein.
Damit verlieren anderweitige, von den Verletzungsgerichten in diesem Zusammenhang gelegentlich bemühte Rechtsfiguren, wie etwa die „verschlechterte Ausführungsform“ (s. BGH, Urt. v. 2.6.1953 – I ZR 14/52 – Eiserner Grubenausbau; Urt. v. 29.5.1962 – I ZR 147/60 – Standtank) oder die „Unterkombination“ endgültig ihre Eigenständigkeit. Die Unterkombination (auch als „Teilschutz“ bezeichnet), bei der die Verletzungsform nur von einem Teil der Anspruchsmerkmale Gebrauch macht, ist vom BGH unter dem aktuellen Patentgesetz ohnehin nie anerkannt worden (offen gelassen z.B. in BGH, Urt. v. 24.9.1991 – X ZR 37/90 – Beheizbarer Atemluftschlauch). Für die „verschlechterte Ausführungsform“ (auch: „unvollkommene Nachahmung“) hatte der BGH schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass sie nicht von der eigentlichen Verletzungsprüfung enthebt (Urt. v. 29.4.1997 – X ZR 101/93 – Kunststoffaufbereitung). Somit vollendet der BGH mit der Aufstellung des Fragenkatalogs im Grunde eine Rechtsentwicklung, die sich bereits seit längerem abgezeichnet hat.
Fortan gilt also folgender Grundsatz: Eine unmittelbare Patent- oder Gebrauchsmusterverletzung liegt nur dann vor, wenn entweder vom Wortsinn der Ansprüche Gebrauch gemacht wird oder die obigen Voraussetzungen erfüllt sind (zur „mittelbaren Verletzung“ s. unsere Beiträge vom 22.12.2005 und 20.7.2007).
Zu ergänzen ist, dass im Rahmen der Äquivalenzprüfung außerdem folgendes Erfordernis gilt:
- Viertens darf sich die äquivalente Ausführungsform nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben. Mit anderen Worten: Wenn für den angegriffenen Gegenstand, wäre er von der Anmeldung des Klagepatents umfasst gewesen, mangels Patentfähigkeit kein Patent erteilt worden wäre, kann ihn das Klagepatent auch nicht erfassen.
Denn sonst würde sich der Patentschutz auf etwas erstrecken, was am Anmeldetag nicht patentfähig war. Dieser „Formstein-Einwand“ ist spätestens seit dem Urteil „Formstein“ (BGH, Urt. v. 29.4.1986 – X ZR 28/85) allgemein anerkannt und auch in der jetzigen „Pumpeinrichtung“-Entscheidung erwähnt. Der BGH ihn offenbar nur deshalb nicht mit in den Katalog mit aufgenommen, weil es sich um eine Einwendung handelt, für deren Voraussetzungen der Anspruchsgegner die Darlegungs- und Beweislast trägt.
Die Formulierung eines Fragenkatalogs durch den BGH kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem ein ähnlicher Katalog vom englischen House of Lords gerade erst relativiert worden ist (Urt. v. 21.10.2004 – [2004] UKHL 46, Kirin Amgen Inc. v. Hoechst Marion Russel Ltd. [Erythropoietin]). Die englische Rechtsprechung tut sich traditionell schwer mit der Anerkennung von Patentverletzungen außerhalb des Anspruchswortlauts. Da das Vereinigte Königreich aber EPÜ-Mitglied ist, sind die dortigen Gerichte an Art. 69 EPÜ und das Auslegungsprotokoll gebunden (§§ 60, 125 Patents Act 1977). Sie dürfen sich also nicht auf den „genauen Wortlaut“ beschränken. Unter dem Titel „Catnic Questions“ oder – in Anlehnung an das Auslegungsprotokoll – „Protocol Questions“ hat sich daher ein Fragenkatalog eingebürgert, mit dem die Gerichte zu ähnlichen Ergebnissen wie die deutsche Äquivalenzlehre gelangten. Nach besagter „Kirin Amgen“-Entscheidung jedoch soll dieser Katalog nur eine unverbindliche Richtlinie sein. Das House of Lords bewegt sich damit entgegengesetzter Richtung wie der BGH. Ferner folgert das britische Urteil aus Art. 69 EPÜ, dass es keinen Schutz „außerhalb der Ansprüche“ gebe, was wohl als grundsätzliche Absage an die Äquivalenztheorie deutscher Lesart zu verstehen ist.
Sowohl der BGH als auch das House of Lords werden aber in naher Zukunft zu prüfen haben, ob sie ihre jetzigen Sichtweisen überdenken müssen. Mit dem „EPÜ 2000“ wird spätestens zum 13. Dezember 2007 ein revidiertes Auslegungsprotokoll in Kraft treten, das einen neuen Art. 2 über „Äquivalente“ folgenden Inhalts enthält:
„Bei der Bestimmung des Schutzbereichs des europäischen Patents ist solchen Elementen gebührend Rechnung zu tragen, die Äquivalente der in den Patentansprüchen genannten Elemente sind.“
Dass einerseits – anders als in der jetzigen Fassung des Auslegungsprotokolls – Äquivalente ausdrücklich geregelt werden, stellt die ablehnende Haltung des House of Lords in Frage. Wenn andererseits von Äquivalenten von „Elementen“ – und nicht etwa des Schutzgegenstands insgesamt – die Rede ist, stellt sich auch die Frage, ob die mit dem Urteil „Pumpeinrichtung“ bekräftige Praxis des BGH, bei der Äquivalenzprüfung den Anspruchsgegenstand als Gesamtheit in den Blick zu nehmen, aufrecht erhalten bleiben kann.