Bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit von Patenten stellt sich oftmals die Frage, wie mit Dokumenten aus dem Stand der Technik umzugehen ist, deren offenbarte Lehre nicht funktionsfähig erscheint. Ein aktuelles Nichtigkeitsurteil des Xa. Zivilsenats des BGH zeigt anschaulich, wie mit solchen Entgegenhaltungen zu verfahren ist: Bei der Neuheitsprüfung spielt die Frage der Funktionsfähigkeit keine Rolle, während sie bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dazu führt, dass eine nicht funktionsfähige Lehre vollständig außer Betracht zu bleiben hat.
Konkret ging es um die Herstellung von Kunststoffbauteilen mit Hohlräumen. Das angegriffene Streitpatent schützte eine Lehre, bei der eine gute Oberflächenqualität des Werkstücks dadurch erreicht wird, dass der Austreibphase ein solches Gegendruckprofil entgegen gesetzt wird, dass in der Angussöffnung einen Pfropfen entsteht. Abgesehen von dieser Erzeugung eines Gegendruckprofils fanden sich alle Merkmale des geschützten Gegenstands in einer vorveröffentlichten französischen Patentschrift wieder.
Das Bundespatentgericht erklärte das Streitpatent für nichtig. Denn für den Fachmann liege es nahe, die Lehre der französischen Druckschrift so abzuwandeln, dass zwangsläufig ein Gegendruckprofil entstehe. Zudem gehe die Propfenbildung auch aus einer US-Patentschrift hervor.
Der in der Berufung vom BGH hinzugezogene Sachverständige kam dann aber zu dem Ergebnis, dass das in der französischen Veröffentlichung beschriebene Verfahren nicht funktionieren könne. Es sei aus der Metallformung entnommen worden, könne aber auf die Kunststofftechnik wegen der andersartigen Viskositätsverhältnisse nicht übertragen werden. – Damit war die Prüfung für den BGH beendet. Anders als das Patentgericht zog er keine denkbaren Überlegungen des Fachmanns oder Kombinationen mit anderen Offenbarungen in Betracht. Denn der Fachmann würde die mangelnde Funktionstüchtigkeit spätestens beim Versuch der Nacharbeitung bemerken und dann das französische Dokument in Gänze verwerfen.
Bei der Neuheitsprüfung allerdings spielten nach der Prüfungssystematik des BGH die Mängel der Vorveröffentlichung noch keine Rolle. Das leuchtet ein, denn wenn der Gegenstand des Streitpatents seinerseits nacharbeitbar ist, dann muss er mindestens ein Merkmal enthalten, dass ihn vom funktionsunfähigen Stand der Technik unterscheidet.
Für die künftige Praxis ist von besonderer Bedeutung, dass erst die Einschätzung des Gutachters dem Patentinhaber auf die Erfolgsspur verhalf. Unter dem seit einem Monat geltenden neuen Verfahrensrecht für Nichtigkeitssachen werden gerichtliche Sachverständige in der Berufungsinstanz nicht mehr – wie bisher – regelmäßig hinzugezogen werden (s. Beitrag vom 1.10.2009). Vielmehr müssen Fragen wie die Nacharbeitbarkeit einer vorveröffentlichten Lehre grundsätzlich in der ersten Instanz geklärt werden. Das bedeutet für die Parteien in solchen Fällen einen Mehraufwand an Versuchen und Begutachtungen, um die technischen Richter der Nichtigkeitssenate des Bundespatentgerichts zu überzeugen.