Machen zwei Erfinder unabhängig voneinander die gleiche Erfindung und meldet einer davon ein Schutzrecht (deutsches Patent, europäisches Patent mit deutschem Teil oder deutsches Gebrauchsmuster) dafür an, bevor der andere seinerseits eine Anmeldung eingereicht oder die Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, so steht die Erfindung des anderen der Schutzfähigkeit zwar nicht entgegen. Der andere Erfinder kann sich jedoch auf ein „Vorbenutzungsrecht“ berufen, soweit er die Erfindung vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag in Deutschland benutzt oder zumindest die Vorbereitungen für eine solche Benutzung getroffen hatte und später nicht aufgegeben hat. In diesem Umfang kann das Schutzrecht gegen ihn nicht geltend gemacht werden.
Voraussetzung ist aber insbesondere ein „Erfindungsbesitz“ des Vorbenutzers. Dieser ist „gegeben, wenn der Erfindungsgedanke, d. h. die aus Aufgabe und Lösung sich ergebende technische Lehre, subjektiv erkannt und die Erfindung damit objektiv fertig ist“ (BGH, Urt. v. 21.6.1960 – I ZR 114/58).
„Subjektiv erkannt“ heißt dabei aber nicht, dass der Vorbenutzer den zum Erfindungserfolg führenden Ursachenzusammenhang in allen Einzelheiten aufgeklärt haben müsste. Dies hat der BGH in seinem Urteil „Desmopressin“ nun festgestellt hat (Urt. v. 12.6.2012 – X ZR 131/09). Im Streitfall betraf die Erfindung eine pharmazeutische Zusammensetzung mit einem Oxidationsmittelgehalt von nicht mehr als 15 ppm. Die Einhaltung dieser Obergrenze war entscheidend für die gute Lagerstabilität des Produkts. Die Beklagte hatte erfindungsgemäße Zusammensetzungen mit 3,5 ppm Oxidationsmittelgehalt vorbenutzt. Ob sie aber dabei auch um die Vorteile für die Stabilität gewusst hatte, blieb offen. Darauf komme es aber auch nicht an, wie der BGH in Übereinstimmung mit den Düsseldorfer Vorinstanzen befand. Entscheidend sei allein, dass die Beklagte einen ausführbaren und wiederholbaren Weg zur Herstellung der Zusammensetzung mit 3,5 ppm gefunden hatte.
Das leuchtet ein, denn da die Erlangung eines Schutzrechts ebenso wenig voraussetzt, dass der Erfinder die naturwissenschaftliche Kausalkette seiner Erfindung offen legt oder auch nur verstanden hat, wird man für ein Vorbenutzungsrecht nicht mehr verlangen können. Die eigentliche Hürde für die Berufung auf ein Vorbenutzungsrecht bleibt aber die Sicherstellung einer detaillierten Dokumentation der – im Prozessfall meist um viele Jahre zurückliegenden – Entwicklungsvorgänge.