Der Stoffschutz im Patentrecht ist ein immer wiederkehrendes Thema, besonders wenn es um Stoffe geht, die als Arzneimittel eingesetzt werden können, die eine große wirtschaftliche Bedeutung haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 10.9.2009 (Aktenzeichen Xa ZR 130/07, „Escitalopram“) Grundsätze für Neuheit und erfinderische Tätigkeit von Stoffen aus einem Stoffgemisch festgelegt.

Organische Moleküle liegen oft als Gemische von Enantiomeren vor, die zwar dieselbe Struktur aufweisen, sich aber in der räumlichen Anordnung (Konfiguration) der einzelnen Atome voneinander unterscheiden.  Dabei verhalten sich Enantiomere zueinander wie Bild und Spiegelbild, wobei diese beiden unterschiedlichen Formen als „(+)-Enantiomer“ und „(-)-Enantiomer“ bezeichnet werden.  Liegt der Stoff als ein Gemisch von gleichen Anteilen beider Enantiomere vor, spricht man von einem „Razemat“.

Das Streitpatent der Beklagten war erteilt worden mit Patentansprüchen auf ein (+)-Enantiomer eines Stoffes und auf ein Verfahren zu seiner Herstellung ( (+)-1-(3-dimethylaminopropyl)-1-(4’-fluorophenly)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril).  Die Beklagte war ferner Inhaberin eines ergänzenden Schutzzertifikats auf dieses (+)-Enantiomer („Escitalopram“, ein Neuropharmakon, Streitzertifikat).  Das Streitpatent und das Streitzertifikat wurden erstinstanzlich vom Bundepatentgericht (BPatG) für nichtig erklärt.  Die Berufung zum BGH behandelte nur das Streitzertifikat, da sich die Parteien darauf einigten, den Streit in Bezug auf das Patent wegen Zeitablaufs für erledigt zu erklären.

Der BGH war in der Berufung anderer Ansicht als das BPatG und änderte das erstinstanzliche Urteil ab – der Gegenstand des Streitzertifikats sei neu und erfinderisch aus den folgenden Gründen. Ein einzelnes, isoliertes Enantiomer aus einem bekannten Stoffgemisch (Razemat) sei neu, da das einzelne Enantiomer im Gemisch als solches nicht offenbart sei.  Stand der Technik war ein Razemat von (+)-Enantiomer und (-)-Enantiomer des obigen Stoffes, also ein Gemisch aus gleichen Anteilen beider Enantiomere („Citalopram“, ebenfalls ein Neuropharmakon).  Im Streitpatent wurde jedoch erwähnt, dass die pharmakologische Wirkung nur auf dem (+)-Enantiomer beruhte.  Nach dem BGH ergab sich für den Fachmann die Aufgabe, ein weiteres Neuropharmakon zur Verfügung zu stellen, welches als Alternative zu dem bekannten Razemat „Citalopram“ in Betracht kam.  Die Lösung dieser Aufgabe, die Bereitstellung des (+)-Enantiomers wurde vom BGH als erfinderisch angesehen, da sich der Fachmann nicht zwingend für dieses Enantiomer als Lösungsweg entschieden hätte.  Weiterhin gab es am Prioritätstag keinen für den Fachmann naheliegenden Weg, das (+)-Enantiomer isoliert herzustellen.  Dazu käme ein besonderer therapeutischer Effekt es (+)-Enantiomers, welches sich durch eine besonders gute pharmakologische Wirkung auszeichne.

Ein weiterer Aspekt dieser Entscheidung ist die Auslegung des Begriffes „Erzeugnis“ in der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das ergänzende Schutzzertifikat (SPC) für Arzneimittel.  Nach dieser Verordnung wird ein SPC nur dann erteilt, wenn die arzneimittelrechtliche Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.  Im vorliegenden Fall gab es bereits eine Genehmigung auf „Citalopram“, das Razemat/Gemisch.  Das (+)-Enantiomer, „Escitalopram“, sei ein anderes „Erzeugnis“ als das Razemat und könne daher eine weitere arzneimittelrechtliche Genehmigung als Grundlage für das SPC in Anspruch nehmen.  Daher sei eine frühere Genehmigung auf ein Razemat als Arzneimittel unschädlich für ein SPC auf ein ausgewähltes Enantiomer, welches Gegenstand einer späteren Genehmigung sowie eines eigenen Stoffpatents ist.