Nach Abschluss eines Patentverletzungsstreits durch Urteil beginnt häufig für zumindest eine der Parteien ein Rätselraten über die Reichweite des Richterspruchs. Ist auf Verletzung erkannt worden, stellt sich für den Beklagten die Frage, was am strittigen Produkt zu ändern ist, damit es nicht mehr unter den Titel fällt. Bei Klageabweisung wird sich der Kläger fragen, ob das Urteil für eine ganze Produktpalette seines Gegners gilt oder nur für einzelne, ausdrücklich im Gerichtsverfahren erörterte Artikel. Im letztgenannten Fall bliebe die Option, die nicht erfassten Erzeugnisse erneut, ggf. vor einem anderen Gericht anzugreifen.
Mit dieser Problematik hatte sich schon das Reichsgericht zu befassen. Es behalf sich mit der relativ groben Formel, dass ein Unterlassungstitel auch für Produkte gilt, die gegenüber der Verletzungsform nur in unwesentlichen Einzelheiten verändert sind (RG, Urt. v. 15.11.1937 – I 102/37). In einem jüngeren Beschluss des OLG Düsseldorf wurde darauf abgestellt, ob das veränderte Produkt nur so geringfügig vom Verletzungsprodukt abweicht, dass nicht ernsthaft darüber gestritten werden kann, dass beide einander entsprechen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.1.2006 – I-2 W 36/05).
Der BGH hat nun versucht, etwas griffigere Kriterien aufzustellen (Urt. v. 21.2.2012 – X ZR 111/09 – Rohrreinigungsdüse II). Danach kommt es in erster Linie auf die Tatsachenbehauptungen an, mit denen der Kläger im Vorprozess begründet hat, weshalb die angegriffene Ausführungsform vom Patentanspruch erfasst wird. Treffen sie identisch auch auf andere Produkte des Beklagten zu, sind sie vom Urteil erfasst, sonst nicht.
Wie griffig diese Kriterien wirklich sind, hängt aber vornehmlich von der Präzision des Klägervortrags im Vorprozess ab. Der Kläger sollte künftig für jedes Anspruchsmerkmal klarstellen, ob er es durch die ganz konkrete Gestaltung des – etwa in einer Zeichnung wiedergegebenen – Verletzungsgegenstandes verwirklicht ansieht oder durch eine – in Worte zu fassende – Abstraktion davon (z. B. „stumpfer Winkel“ statt 100°). Wird abstrahiert, muss allerdings für ein Unterlassungsurteil im Umfang des erweiterten Streitgegenstandes Begehungsgefahr bestehen, worauf der BGH auch gleich hingewiesen hat.