Im Erteilungsverfahren vor dem deutschen Patentamt oder Bundespatentgericht ist es nicht unüblich den Einwand der mangelnden Klarheit eines Anspruchs mit dem Hinweis auf die BGH-Entscheidungen „Spannschraube“ (Beschl. v. 02.03.1999 – X ZR 85/96) und „Momentanpol II“ (Beschl. v. 08.07.2008 – X ZB 13/06) erfolgreich zu kontern. Gemäß diesen Entscheidungen darf bei der Auslegung des Patentanspruchs nicht am Anspruchswortlaut gehaftet werden. Vielmehr ist auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, wobei die Beschreibung als eigenes Wörterbuch für die im Patentanspruch verwendeten (unklaren) Begrifflichkeiten heranzuziehen ist. Ist diese Argumentation erfolgreich und wird der interpretationsbedürftige Anspruchswortlaut erteilt, erweitert sich der Kreis potentieller Patentverletzter auf alle, die sich im Schutzbereich einer der zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten des unklaren Anspruchswortlauts wiederfinden.
Jedenfalls der 21. Senat des Bundespatentgerichts hält diese Praxis für falsch und sieht sich nicht in der Pflicht, für den Anmelder unklare Ansprüche im Wege der Auslegung zu „reparieren“ (BPatG, Urt. v. 22.05.2014 – 21 W (pat) 13/10). Ein wesentliches Argument für diese Sichtweise ist, dass die oben genannten BGH-Entscheidungen und die in diesen Entscheidungen zitierte Rechtsprechung sich durchgängig und ausschließlich auf Verfahren zu bereits erteilten Patenten bezieht, im Anmeldeverfahren hingegen kein Raum für die Auslegung unklarer Ansprüche ist. Eine andere Ansicht würde zur Aushöhlung der Vorschrift des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG führen, die üblicherweise als gesetzliche Grundlage für das Klarheitserfordernis in Kombination mit den erläuternden BGH-Entscheidungen „Düngerstreuer“ (Beschl. v. 23.02.1988 – X ZR 93/85) und „Farbbildröhre“ (Beschl. v. 14.12.1978 – X ZB 14/77) herangezogen wird.
Der 21. Senat hat in seiner Entscheidung die Rechtsbeschwerde zum BGH zwecks Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Damit wird dem BGH ebenfalls die Möglichkeit eröffnet, eine Harmonisierung mit der etablierten Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA herbeizuführen, wonach im Erteilungsverfahren gemäß Art. 84 EPÜ die Patentansprüche aus sich heraus für einem Fachmann klar sein müssen.