In der Entscheidung „Olanzapin“ (3 Ni 21/04, 4. Juni 2006) hat sich das Bundespatentgericht (BPatG) zur Frage der Neuheit einer chemischen Verbindung gegenüber einer vorveröffentlichen Strukturformel mit variablen Resten und der Neuheit der Verwendung der Verbindung zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer bestimmten Krankheit geäußert.
Der Nichtigkeitssenat entschied, dass die Verbindung, ein spezielles Benzodiazepin, nicht neu gegenüber einer vorveröffentlichten Strukturformel nach Art einer Markush-Formel sei, die mit zwei variablen Resten zwölf Einzelverbindungen umfasste, obwohl das fragliche Benzodiazepin im Stand der Technik nicht explizit als Einzelverbindung aufgeführt war. Die Offenbarung des Stands der Technik war nach Meinung des Gerichts auch ausreichend, dass ein Fachmann die fragliche Verbindung herstellen konnte, so dass sie nicht mehr neu war. Damit folgt der Senats der Entscheidung „Fluoran“ des Bundesgerichtshofs (GRUR 1988, 447).
Die zeigt wieder einmal, dass sich die deutsche Rechtssprechung zur Frage der Neuheit von der Auffassung des Europäischen Patentamts (EPA) und dessen Beschwerdekammern teils deutlich unterscheidet, da nach der deutschen Praxis bei der Beurteilung der Neuheit eher auf das Verständnis des Fachmanns abgestellt wird (der aus Dokumenten auch implizit Informationen „mitliest“), während das EPA eine unmittelbare und eindeutige („fotografische“) Offenbarung verlangt, d. h. eher nach der wörtlichen Offenbarung im Stand der Technik geht. Dies kann besonders bei Auswahlerfindungen leicht zu Situationen wie im vorliegenden Fall führen, dass zwar ein europäisches Patent erhalten wird, der deutsche Teil des europäischen Patents jedoch durch ein deutsches Gericht für nichtig erklärt wird (zum gleichen Problem bei der Frage der Technizität s. den letzten Absatz unseres Beitrags vom 12.10.2007).
Hinsichtlich der Neuheit der Verwendung des Benzodiazepins zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung bestimmter Krankheiten entschied das Gericht, dass ein solcher Verwendungsanspruch bereits dann nicht mehr neu sei, wenn der Fachmann dem Stand der Technik die Eignung der Substanz zur Behandlung dieser Krankheiten anhand üblicher Versuche (in vitro bzw. am Tier) entnehmen kann. Ein Nachweis der Wirkung am Menschen durch klinische Versuche sei dagegen nicht für die Neuheitsschädlichkeit erforderlich.