Dass um Pharmapatente seitens der forschenden Arzneimittelindustrie und der Generika-Unternehmen erbittert gekämpft wird, ist bekannt. Da es dabei um erhebliche Werte geht, werden diese Kämpfe häufig bis in die letzte Instanz vor den Bundesgerichtshof (BGH) getragen. Dies gibt dem BGH über den konkret zu beurteilenden Fall hinaus die Möglichkeit, Wegweiser für die Bewertung der Schutzfähigkeit von Erfindungen aufzustellen. So auch in dem Olanzapin-Urteil des BGH vom 16. Dezember 2008 (X ZR 89/07), in dem der BGH unter anderem zur Frage der Neuheit einer unter eine bekannte chemische Strukturformel fallenden Einzelverbindung (Olanzapin) Stellung nimmt. Im Einzelnen:
Der Wirkstoff Olanzapin ist im Neuroleptikum Zyprexa® des Pharmaunternehmens Lilly enthalten, das auch das streitgegenständliche Olanzapin-Patent EP 0 454 436 hält. Der Markt für dieses Arzneimittel ist enorm. Weltweit haben bis heute 26 Millionen Patienten das Originalpräparat (Zyprexa®) erhalten. Allein in Deutschland werden nach vorsichtigen Schätzungen mit Zyprexa®jährlich 160 Millionen Euro umgesetzt. Das Olanzapin-Patent wurde von Generika-Unternehmen wegen angeblich fehlender Neuheit vor dem Bundespatentgericht (BPatG) 2007 erfolgreich angegriffen. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils drangen die Generikahersteller auf den vermeintlich freien und daher neu zu verteilenden Olanzapin-Markt. Daraufhin stieg beispielsweise der Absatzanteil von Olanzapin-Generika im GKV-Markt bis Dezember 2008 auf stattliche 56 Prozent an (Quelle: Presseportal Pro Generika e.V.).
Bis Mai 2008 versuchte Lilly erfolglos, Generika-Unternehmen den Vertrieb der Olanzapin-Generika per einstweiliger Verfügung zu untersagen. Diese Anträge wurden regelmäßig unter Verweis auf die Nichtigkeitsentscheidung des BPatG von den Landgerichten (Hamburg und Düsseldorf) zurückgewiesen. Mit dem Aufsehen erregenden Urteil vom 29. Mai 2008 (2 W 47/07 – Olanzapin) des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf wendete sich jedoch das Blatt zugunsten der Patentinhaberin. Überraschenderweise erließ das OLG eine einstweilige Verfügung auf Grundlage des durch das BPatG für nichtig gehaltenen Patents. Dies war bis dato einmalig. Dass das OLG damit richtig lag, bestätigt das jetzige BGH-Urteil (X ZR 89/07), mit dem die Gültigkeit des Olanzapin-Patents bestätigt wurde. Dieses Urteil gibt Lilly die Möglichkeit, die nunmehr rechtswidrig Olanzapin-Generika vertreibenden Unternehmen vom Markt zu drängen und Schadensersatz zu verlangen.
Neben seiner kommerziellen Relevanz zeigt das BGH-Urteil wegweisend auf, wie in Zukunft mit dem Patentschutz von Einzelverbindungen umgegangen werden soll, die unter eine bereits in allgemeiner Form offenbarte chemische Strukturformel fallen. Im Einzelnen:
Das Streitpatent beanspruchte unter anderem Olanzapin mit oben dargestellter Formel I zur Verwendung als Arzneimittel. Im Stand der Technik gab es eine ältere Publikation der Erfinder des Streitpatents, die eine Struktur mit oben dargestellter Formel II für die gleiche Indikation offenbarte, wobei R1 ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus H, Cl und F und R2 ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus H, CH3, CH2-CH3 und Isopropyl ist.
Da R1 und R2 frei kombinierbar waren, umfasste vorgenannte und vor dem Anmeldetag des Streitpatents bereits bekannte Formel II folglich zwölf R1-R2-Kombinations-Einzelverbindungen. Darunter insbesondere auch die Kombination mit R1=H und R2=CH3, d.h. das eingangs genannte und durch das Streitpatent geschützte Olanzapin (Formel I).
Das BPatG sah die chemische Verbindung Olanzapin unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung „Elektrische Steckverbindung“ (BGHZ 128, 270, 276 f.) und „Fluoran“ (BGHZ 103, 150) als nicht mehr neu an, da dem Fachmann ein konkreter Hinweis auf die betreffende Verbindung vermittelt werde, er also diese Verbindung in Gedanken ohne weiteres mitlese und aufgrund dieses Hinweises ohne weiteres in die Lage versetzt werde, den betreffenden Stoff herzustellen.
Dieser Auffassung folgte der BGH mit seinem Urteil nicht und bemängelte insbesondere, dass das BPatG die Bedeutung der herangezogenen BGH-Entscheidungen „Fluoran“ und „Elektrische Steckverbindung“ verkannt habe. So habe der BGH in „Elektrische Steckverbindung“ keineswegs einen Persilschein dafür erteilen wollen, Äquivalente in die Neuheitsprüfung einzubeziehen. Vielmehr sei es darum gegangen, den Sinngehalt der Offenbarung vollständig zu ermitteln.
Unter Verweis auf die eigene BGH-Rechtsprechung und die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts wird klargestellt, dass für den Offenbarungsgehalt maßgeblich sei, was aus fachmännischer Sicht einer Schrift „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen ist. Im vorliegenden Fall konnte der BGH insbesondere nicht erkennen, dass der Fachmann die individuelle Verbindung Olanzapin „mitlese“. Denn das hätte vorausgesetzt, dass sich dem Fachmann beim Lesen der Strukturformel und der (gedachten) Substituentenlisten für R1 und R2 sogleich die Verbindung Olanzapin mit R1=H und R2=CH3 als gemeint aufdränge. Dafür gab es jedoch keinen Beleg. Dementsprechend heißt es auch zusammenfassend in dem Leitsatz des Urteils unter c) „Mit der Offenbarung einer chemischen Strukturformel sind unter diese Formel fallende Einzelverbindungen grundsätzlich noch nicht offenbart.“
Mit dem Urteil des BGH muss jeder Vertrieb von generischem Olanzapin in Deutschland eingestellt werden. Damit liegt der BGH auf Linie mit weiteren Zyprexa®-Patentstreitentscheidungen in Europa. So hat Lilly für sich positive Gerichtsentscheidungen in Großbritannien, der Tschechische Republik, Slowakei, Rumänien, Ungarn und Norwegen erhalten und in Spanien, Portugal, Dänemark und Großbritannien einstweilige Verfügungen gegen Verletzer der Zyprexa®-Patentrechte erwirkt (Quelle: Lilly-Presseinformation auf www.lilly-pharma.de).
Das BGH-Urteil ist ein wichtiger Meilenstein für die forschende pharmazeutische Industrie, die auf einen starken Patentschutz angewiesen ist.