Kommt es in einem Zivilprozess auf die Begutachtung durch einen gerichtlichen Sachverständigen an, erstattet dieser zumeist – insbesondere in Fällen des geistigen Eigentums – zunächst ein schriftliches Gutachten. Fällt dies für eine Partei unbefriedigend aus, hat sie die Möglichkeit, die Einbestellung des Gutachters zum nächsten Gerichtstermin zu beantragen, um ihn zu den strittigen Punkten zur Rede stellen zu können (vgl. § 411 Abs. 3 ZPO). Nach der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen hat das Gericht einem solchen Antrag grundsätzlich zu entsprechen, und zwar auch dann, wenn es selbst bereits das schriftliche Gutachten für überzeugend hält (BGH, Urt. v. 29.10.2002 – VI ZR 353/01). Damit wird dem vom Grundgesetz gewährten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Rechnung getragen.
In patentrechtlichen Nichtigkeitsberufungsverfahren greift der hierfür zuständige BGH ergänzend auf die Vorschriften der ZPO zurück (z.B. BGH, Beschl. v. 7.6.2005 – X ZR 174/04) und trägt den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG regelmäßig schon dadurch Rechnung, dass er den Sachverständigen von sich aus zur Klärung offener Fragen in den Termin bittet.
Der BGH stand nun in einem Fall vor dem Problem, dass der Gutachter zum Termin erkrankt war. In seinem schriftlichen Gutachten hatte er zu einem streitigen Merkmal des Hauptanspruchs zwei Verständnismöglichkeiten für den Fachmann für möglich gehalten, sich dann aber für eine davon entschieden mit dem Ergebnis, das er das Patent insgesamt für nicht schutzfähig hielt. Obwohl dieser Befund für die Berufungsklägerin günstig war, bat sie vorsichtshalber um Terminverlegung. Der darauf – offenbar mit Blick auf die erhebliche Arbeitsbelastung des Gerichts – geäußerten Bitte des Vorsitzenden Richters um planmäßige Durchführung des Termins entsprach sie dann aber. Als sich bei der Verhandlung abzeichnete, dass das Gericht gegen das Gutachten tendierte, beantragte die Berufungsklägerin Vertagung, um den Gutachter doch noch hören zu können. Der BGH entsprach dem jedoch nicht, sondern wies die Berufung zurück (BGH, Urt. v. 11.4.2006 – X ZR 275/02). Ebenso beschied der BGH die daraufhin eingelegte Anhörungsrüge der Berufungsklägerin (§ 321a ZPO), und zwar unter Verweis auf seine mittlerweile etablierte Rechtsprechung, dass die Auslegung von Patentansprüchen nicht Sache des Sachverständigen, sondern Aufgabe des Richters sei (BGH, Urt. v. 7.9.2004 – X ZR 255/01 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; Urt. v. 11.10.2005 – X ZR 76/04 – Seitenspiegel u.a.)
Das darauf hin mit einer Verfassungsbeschwerde angerufene BVerfG ließ zwar diese Rechtsprechung des BGH an sich unangetastet, ging aber davon aus, dass der Sachverständige die für die Berufungsklägerin ungünstige Deutungsmöglichkeit gänzlich verworfen habe. Wenn der BGH einer solchen Situation gegen die Auffassung des Gutachters entscheiden wolle, müsse er einem Antrag auf weitere Erläuterung durch den Sachverständigen stattgeben. Folglich hob es das Urteil des BGH auf (BVerfG, Beschl. v. 14.5.2007 – 1 BvR 2485/06).
Konsequenz dieser Entscheidung dürfte sein, dass die Patentauslegung vom Gericht zwar unabhängig vom bestellten Sachverständigen vorgenommen werden muss, aber – sofern ein entsprechender Antrag vorliegt – nicht ohne ihn. Dies sichert zwar die Stellung der Parteien im Verfahren ab, macht aber auch die Arbeit der Gerichte in Patentsachen nicht einfacher.