Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) hat am 9. Dezember 2010 ihre Entscheidungen G 2/07 und G 1/08 veröffentlicht, die konsolidiert behandelt wurden und als die Fälle „Brokkoli“ und „Tomate“ auch durch die Medien gegangen sind.  In beiden Fällen ging es um die Auslegung des Begriffs „im Wesentlichen biologische Verfahren“, der im Art. 53 Buchst. b EPÜ genannt ist, nach dem keine europäische Patente erteilt werden können u.a. für „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“.

Im „Brokkoli“ Fall (G 2/07) ging es um ein europäisches Patent auf ein Verfahren zur Züchtung bestimmter Formen von Brokkoli mit welchem sich zuvor eine technische Beschwerdekammer des EPA im Einspruchsbeschwerdeverfahren befasst hatte (T 83/05).  Der Hauptantrag der Patentinhaberin war gerichtet auf ein Verfahren zur Herstellung von Broccoli mit erhöhten Gehalten von einem oder zwei antikarzinogenen Stoffen, welche in der Lage sind, im Körper eine bestimmte Gruppe von Enzymen zu induzieren, die karzinogene Stoffe entgiften können. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass dieses Verfahren einen sexuellen Kreuzungsschritt sowie zwei weitere technische Schritte enthält, in denen molekulare Marker zur Selektion von solchen Hybriden eingesetzt werden, die den genetischen Hintergrund für diese erhöhten Stoffgehalte aufweisen.

Auch im „Tomate“ Fall G 1/08 geht es um ein Züchtungsverfahren mit klassischen Kreuzungsschritt und technischen Verfahrensschritten. Das zugrunde liegende europäische Patent schützt ein Verfahren zur Herstellung von Tomaten mit reduziertem Wassergehalt, wobei das Verfahren neben klassischen, sexuellen Kreuzungsschritten auch einen technischen Verfahrensschritt der Selektion von Tomaten mit verringertem Fruchtwassergehalt aufweist, der nach verlängerter Konservierung der reifen Frucht, der Faltung der Fruchthaut, oder nach erhöhtem Trockengewicht selektiert.

Im Einspruchsbeschwerdeverfahren zu „Tomate“ (T 1242/06) war dieselbe Technische Beschwerdekammer zuständig, die auch den obigen „Brokkoli“ Fall der Großen Beschwerdekammer vorgelegt hatte, und zwar mit zwei Fragen: 1. Kann ein an sich vom Patentschutz ausgeschlossenes, nicht-mikrobiologisches Züchtungsverfahren für Pflanzen doch patentierbar sein, wenn es ein zusätzliches technisches Merkmal enthält, sei es in einem zusätzlichen Verfahrensschritt oder als Bestandteil eines Züchtungs- oder Selektionsschrittes?  2. Wenn nicht, was sind dann die Kriterien zur Unterscheidung von patentierbaren und nicht-patentierbaren Züchtungsverfahren, und spielt es eine Rolle, welchen Beitrag dieses zusätzliche technische Merkmal zu der Erfindung leistet?

 

In ihren Entscheidungen G 2/07 und G 1/08 kommt die Grosse Beschwerdekammer zum Schluss, dass nicht-mikrobiologische Verfahren, die sexuelle Kreuzungsschritte in Bezug auf das gesamte Genom beinhalten, sowie die darauf folgende Selektion der daraus resultierenden Pflanzen durch die Züchter nach dem EPÜ als „im Wesentlichen biologische Verfahren“ nicht patentierbar sind, dass also der Ausschluss des Art. 53 Buchst. b EPÜ greift (Antwort auf erste Frage).

Das Verfahren kann auch nicht durch den bloßen Zusatz von technischen Verfahrensschritten zur Durchführung bzw. Unterstützung von Verfahren der sexuellen Kreuzung von Genomen von Pflanzen und der nachfolgenden Selektion der Pflanzen dem Patentierbarkeitsausschluss entgehen. Technische Hilfsmittel wie genetische Marker können zwar an sich nach dem EPÜ patentfähige Erfindungen darstellen, aber ihre Verwendung in einem im Wesentlichen biologischen Züchtungsverfahren macht dieses Verfahren als solche damit nicht patentierbar (Antwort auf zweite Frage).

Allerdings kann nach G 2/07 und G 1/08 ein Verfahren zur Einfügung eines Merkmals („trait“) in das Genom einer Pflanze bzw. dessen Veränderung durch gentechnische Verfahrensschritte patentierbar sein, weil es nicht auf sexueller Kreuzung ganzer Genome beruht. Das Kreuzungsverfahren als solches kann dabei aber nicht beansprucht werden, wegen der Antwort auf die erste Frage (die Anwendung technischer Verfahrensschritte vor bzw. nach dem im Wesentlichen biologischen Kreuzungsvorgang kann nicht zu dessen Patentierbarkeit führen).

Schließlich entschied die Große Beschwerdekammer, dass es keine Rolle spiele, welchen Beitrag ein zusätzliches technisches Merkmal in einem „im Wesentlichen biologischen“ Verfahren zur Züchtung von Pflanzen leistet, ob es ein neues oder bekanntes Merkmal ist, ob es in der Natur vorkommt, ob es trivial ist oder gar der Kern der Erfindung ist – das Verfahren bleibt nach Art. 53 Buchst. b EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen.

Nach den beiden Entscheidungen G 2/07 und G 1/08 sollte es für den Anmelder nicht mehr möglich sein, den Patentierbarkeitsausschluss des Art. 53 Buchst. b EPÜ durch den Zusatz von technischen Verfahrensschritten, ob trivial oder nicht, zu umgehen.