Wird erstmalig festgestellt, dass ein bereits bekannter Stoff X als Arzneimittel zur Behandlung einer Krankheit verwendet werden kann, so lässt sich dies im Wege der beim Europäischen Patentamt (EPA) üblichen Anspruchsformulierung „Stoff X zur Verwendung als Medikament“ (sogenannte ersten medizinischen Indikation) oder „Stoff X zur Verwendung bei der Behandlung der Krankheit Y“ (sogenannte zweite medizinische Indikation) schützen.
Der Charme der erstgenannten Anspruchsformulierung „Stoff X zur Verwendung als Medikament“ besteht für den Anmelder insbesondere darin, dass obgleich der Nutzen von Stoff X nur in Bezug auf die Krankheit Y belegt und Grundlage für die Beurteilung von Ausführbarkeit, Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 83, 54 und 56 EPÜ) ist, sich der Schutzbereich auf jegliche therapeutische Anwendung von Stoff X (z.B. auch zur Behandlung der Krankheit Z) erstreckt. Hat der Anmelder hingegen nur die zweite Anspruchsformulierung „Stoff X zur Verwendung bei der Behandlung der Krankheit Y“ gewählt, so kann er Dritten auch nur die Verwendung von Stoff X in Bezug auf die Behandlung der Krankheit Y verbieten.
In der Praxis stellt der umsichtige Anmelder daher dem Anspruch im Format der zweiten medizinischen Indikation einen übergeordneten Anspruch der ersten medizinischen Indikation zur Seite.
Fehlt es an dem schutzbereichsbreiten Anspruch der ersten medizinischen Indikation und ist eine Neuformulierung des Anspruchssatzes noch möglich, kann auch noch später die erste medizinische Indikation beansprucht werden, sofern die ursprüngliche Offenbarung der Anmeldeunterlagen dies zulässt. Ein geeignetes Beispiel zur Verdeutlichung der Grenzen einer solchen „Aufweitung“ der Anspruchsformulierung ist die aktuelle Entscheidung des Bundespatentgerichts in der Patentnichtigkeitssache 3 Ni 24/12 (EP). Im Einzelnen:
Der deutsche Teil eines erteilten europäischen Patents beanspruchte eine pharmazeutische Zusammensetzung im Format der ersten medizinischen Indikation ohne Verwendungszweck. Die Anmeldeunterlagen des zugrunde liegenden Europäischen Patents offenbarten die pharmazeutische Zusammensetzung, jedoch ausschließlich im Kontext der Behandlung von bestimmten Krankheiten. Zwar wurden die Zusammensetzungen an zwei Stellen des Beschreibungsteils der Anmeldung ohne Angabe des Verwendungszweckes angesprochen, durch die unmittelbare Verknüpfung dieser Stellen mit dem Passus „useful in the invention“ war jedoch wieder der unmittelbare Zusammenhang zu den behandelnden Krankheiten hergestellt. Im Ergebnis wurde der zuvor vom Europäischen Patentamt erteilte Anspruch der ersten medizinischen Indikation als unzulässig erweitert angesehen und der Anmelder fiel bedauerlicherweise auf den schutzbereichsengeren Wortlaut der zweiten medizinischen Indikation zurück.
Bedauerlich deshalb, weil der Anmelder jede der ein Erteilungsverfahren sonst üblicherweise bestimmenden Hürden der Ausführbarkeit, Neuheit und erfinderischen Tätigkeit problemlos nehmen konnte und allein daran scheiterte, dass es an einem einzigen Satz der Art „Stoff X kann als Medikament verwendet werden, beispielsweise in der Behandlung der Krankheit Y“ fehlte. Damit ist gleichzeitig aufgezeigt, was der Anmelder oder sein Vertreter mit minimalen Mehraufwand bei der Ausarbeitung der Anmeldeunterlagen tun kann und sollte.