Werden in einem auf einen Gegenstand gerichteten Patentanspruch funktionelle Merkmale direkt (z.B. „Sonde, eingerichtet zum Einführen in eine menschliche Körperöffnung“) oder indirekt (z.B. „Inhibitoren der Aktivität des Enzyms X“) verwendet, so muss der Anmelder beim deutschen oder europäischen Patentamt mit dem reflexhaften Einwand der unzureichenden Offenbarung/Ausführbarkeit oder mangelnden Klarheit [Artikel 83-84 EPÜ; Art. 34(4) und PatG] rechnen.
Ersetzt oder ergänzt der Anmelder daraufhin nicht die funktionalen Merkmale durch in der Anmeldung ursprünglich offenbarte körperliche Merkmale, beispielsweise in dem er den Aufbau der „Sonde, eingerichtet zum Einführen in eine menschliche Körperöffnung“ mittels Strukturmerkmalen (Größe und Form der Sonde etc.) spezifiziert oder die „Inhibitoren der Aktivität des Enzyms X“ mittels chemischer Strukturformeln definiert, so muss er mit der Zurückweisung seiner Anmeldung rechnen.
Wie restriktiv das Europäische Patentamt Artikel 83 und 84 diesbezüglich anwendet belegen beispielhaft die Entscheidungen T 1151/04 vom 18. März 2008 und T 979/11 vom 6. Mai 2014. In T 1151/04 wurde das Patent wegen unzureichender Offenbarung in Bezug auf das anspruchsgemäße Merkmal „Inhibitor der Dipeptidyl-Peptidase“ widerrufen, da darunter neben den in der Anmeldung offenbarten und geprüften Inhibitoren auch solche fallen, die bis dato unbekannt waren und vom Fachmann nur zufällig in unzumutbaren „Versuch und Irrtum“-Experimenten als brauchbare Inhibitoren gefunden werden können. In T 979/11 umfasste der Anspruch das Merkmal „Sondenspitze, eingerichtet für den Zugang zum Trabekelmaschenwerk“ („probe tip, configured to access the trabecular meshwork“). Die Beschreibung offenbarte beispielhafte konkrete Formen und Abmessungen der Sondenspitze, auf die der Anmelder jedoch nicht durch Einbeziehung in den Anspruch zurückfallen wollte da dies den Schutzbereich unangemessen eingeengt hätte. Folglich verwehrte die Beschwerdekammer die Patenterteilung.
Ein Lichtblick für Anmelder ist jedoch die höchstrichterliche Leitsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) „Dipetidyl-Peptidase-Inhibitoren“ vom 11. September 2013 (Az. X ZB 8/12). Dort kam der BGH bei gleichem Sachverhalt wie in T 1151/04 zu der überraschenden Entscheidung, dass das funktionale Merkmal „Inhibitor der Dipetidyl-Peptidase“ akzeptabel ist, da dies der beste Weg ist um die Erfindung im vollem Umfang zu erfassen, egal ob die gewählte funktionale Umschreibung der Stoffgruppe auch solche Stoffe umfasst, die erst zukünftig bereitgestellt werden können und selbst wenn letzteres erfinderische Tätigkeit erfordern kann.
Die konträren „Dipetidyl-Peptidase-Inhibitor“-Entscheidungen des BGH (X ZB 8/12) und der Beschwerdekammer des europäischen Patentamts (T 1251/04) zum gleichen Sachverhalt sind ein weiterer Grund dafür, dass bei wichtigen Anmeldungen mit funktionalen Anspruchsmerkmalen die Einreichung und Weiterführung einer deutschen Anmeldung neben einer europäischen Anmeldung eine Daseinsberechtigung hat. Dies kann beispielsweise eine deutsche Prioritätsanmeldung sein, auf die zurückgefallen werden kann, wenn im parallelen Verfahren bei der europäischen Nachanmeldung oben erwähnte Probleme auftauchen.