Mit Entscheidung vom 17. Juli 2007 (T 1606/06) wies eine Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) einen Einspruch gegen ein Patent mit u.a. folgendem Hauptanspruch zurück:
„Ein Computerprogrammprodukt, das für eine Verwendung mit einer Rechenressource vorgesehen ist, die eine Anschließbarkeit an ein Computernetzwerk aufweist, um eine Telefonnummer (‘B-telnb’) zum Kontaktieren einer Zielentität (B) zu bestimmen; wobei das Computerprogrammprodukt angeordnet ist, um die Rechenressource bereitzustellen, wenn dasselbe das Computerprogramm ausführt, mit:
- einer ersten Einrichtung zum Bilden eines Domainnamens, aus einer Nummernfolge (‘B-Webtel’), die die Zielentität (B) identifiziert, durch einen Prozess, der ein syntaktisches Auswerten zumindest eines wesentlichen Abschnitts der Nummernfolge in zumindest einen Teil des Domainnamens umfasst;
- einer zweiten Einrichtung, die wirksam ist, die Netzwerkanschließbarkeit der Rechenressource zu verwenden, um den Domainnamen einem Datenbanksystem vom DNS-Typ (DNS = Domain-Namen-System) zuzuführen und einen Ressourcendatensatz einschließlich einer Telefonnummer (‘B-telnb’) zurückzugewinnen; und
- einer dritten Einrichtung, die wirksam ist, um die durch die zweite Einrichtung zurückerhaltene Telefonnummer (‘B-telnb’) einer Funktionalität zum Aufbauen einer Telefonverbindung zu der Zielentität (B)
zur Verfügung zu stellen.“
Hier wurde unverhohlen ein „Softwarepatent“ geschützt, möchte man meinen, obwohl doch „Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche“ nach dem Gesetzestext (Art. 52 des Europäischen Patentübereinkommens = EPÜ) nicht patentierbar sind.
Tatsächlich wurde dieser Einwand von der Einsprechenden Siemens AG gar nicht erhoben. Die Beschwerdekammer stellte fest, dass nicht geltend gemacht sei, dass der Anspruch „nichttechnische Merkmale“ enthalte. Sie behandelte daher alle Merkmale als technisch. Dies mag ein bisschen sehr weit gehend sein, denn ein z.B. ein „syntaktisches Auswerten“ einer „Nummernfolge“ (Parsing) ist an sich reiner Programmablauf.
Doch auch ein substantiierter Einwand mangelnder Technizität bzw. des Schutzausschlusses für Computerprogramme hätte kaum den Patentschutz in Frage stellen können. Denn obwohl der Anspruch im Gewand einer Softwarelösung daher kommt, so enthält er doch – auch – rein technische Merkmale, insbesondere ein „Computernetzwerk“ und eine „Telefonverbindung“. Tatsächlich liegt der Clou der Erfindung darin, ein Computernetzwerk – insbesondere das Internet mit seinem Domain Name System (DNS) – zu nutzen, um Personen, die sich an wechselnden Orten befinden, stets unter denselben Telefonnummern erreichen zu können (also eine Art Roaming).
Nach dem Prüfungsschema des EPA in solchen Fällen (s. den letzten Absatz unseres Beitrags vom 12.10.2007) ist der technische Charakter aufgrund der vorhandenen technischen Merkmale ohne weiteres zu bejahen. Bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit sind dann aber nichttechnische Merkmale zu vernachlässigen. Der Beschwerdekammer lag nun ein Buch „Mobilfunk und intelligente Netze” aus dem Jahr 1994 vor, das sich ausgiebig mit der Problematik befasste, um die es auch im Streitpatent ging. Da darin aber das Internet nicht einmal erwähnt war, konnte die Kammer zwanglos darauf schließen, dass eine Kombination von Internet und Telefonie gemäß der Lösung des Streitpatents im Anmeldejahr 1996 noch keineswegs nahe lag. Die Schutzfähigkeit wäre also auch dann bejaht worden, wenn die Kammer minutiös die nichttechnischen, also reinen Softwaremerkmale zunächst abgeschichtet hätte.
Die Beschwerdekammerentscheidung war letztinstanzlich, so dass der Einspruch rechtskräftig zurückgewiesen ist. Gleichwohl könnten die nationalen Teile des europäischen Patents noch mit Nichtigkeitsklagen angegriffen werden. Nach der deutschen Praxis in Bezug auf computerimplementierte Erfindungen (Computer-implemented inventions = CII) stünde dann hierzulande die Frage im Vordergrund, ob mit der Erfindung ein „technisches Problem“ gelöst wird (vgl. BGH, Beschl. v. 19.10.2004 – X ZB 34/03 – Rentabilitätsermittlung; BGH, Beschl. v. 24.5.2007 – X ZB 20/03 – Elektronischer Zahlungsverkehr). Auch dies wird man hier bejahen können, da es der Erfindung im Kern um die Bereitstellung eines Telefonsystems geht.
Der Fall zeigt, dass schutzunfähige Softwarepatente nicht an der Formulierung der Patentansprüche zu erkennen sind. Es ist diejenige Lehre auf Patentfähigkeit zu prüfen, die hinter der Einkleidung als Softwareprodukt steht. Erst wenn dabei technische Merkmale und Probleme in den Hintergrund treten, ist der Schutz zu versagen.