Nach Artikel 53 c) EPÜ2000 [Artikel 52(4) des „alten“ EPÜ1973] sind am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren vom Patentschutz in Europa ausgenommen.
Wie in unserem Beitrag vom 17.01.2006 ausgeführt, stellte die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/04 vom 16. Dezember 2005 klar, dass die folgenden Merkmale Grundvorrausetzungen sind, um einen Anspruch als „Diagnostizierverfahren“ vom Patenschutz ausschließen zu können:
- die als reine geistige Tätigkeit zu stellende Diagnose;
- die zu 1. vorausgehenden Schritte, beispielsweise die Datenerfassung, die grundlegend für das Stellen der Diagnose sind; und
- die spezifische Wechselwirkung mit dem tierischen oder menschlichen Körper, die bei der Durchführung der vorausgehenden technischen Schritte auftritt,
wobei es nicht darauf ankommt, ob ein Mediziner an dem Verfahren beteiligt ist.
Der auf der Hand liegenden „Verkürzung“ eines Verfahrensanspruchs durch bewusstes Weglassen eines der vorgenannten Schritte, um den Patentierungssausschluss nach Artikel 53 c) EPÜ zu entfliehen, hat das EPA bereits in G 1/04 unter Verweis auf Artikel 84 EPÜ (Klarheit) einen Riegel vorgeschoben. Demnach muss jedes wesentliche Merkmal, sei es das nicht-technische Merkmal der Diagnose gemäß 1. oder die üblicherweise technischen Merkmale gemäß 2. und 3. in den Anspruch aufgenommen werden.
Eine Reihe von jüngeren Entscheidungen der technischen Beschwerdekammern des EPA beschäftigen sich mit der Frage, ob und unter welchen Bedingungen man insbesondere auf den Schritt der Diagnose im Anspruch verzichten kann, um dem Patentierungshindernis des Artikel 53 c) EPÜ auszuweichen. Das „Vergessen“ der Diagnose im Verfahrensanspruch ist für den Anmelder attraktiv, da es sich dann nicht mehr um ein Diagnostizierverfahren nach G 1/04, sondern allenfalls um ein (in einem Diagnostizierverfahren durchaus verwendbares) Verfahren zur Datenermittlung oder Datenverarbeitung handeln sollte, ohne vom Patentierungsverbot des Artikel 53 c) EPÜ erfasst zu sein.
In der Entscheidung T 143/04 stellte das EPA klar, dass auf die Diagnose im Anspruch jedenfalls dann nicht verzichtet werden kann, wenn der Anmeldetext wiederholt auf die Diagnose verweist und die Anmeldung auf diese ausgerichtet ist. Die Kammer begründete dies mit der argumentativen Steilvorlage aus G1/04 bezüglich mangelnder Klarheit, insbesondere Satz 2 von Artikel 84, wonach die Ansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen. Ergänzend wurde angemerkt, dass bei dem Weglassen des Merkmals der Diagnose im Anspruch, obgleich im Beschreibungsteil als wesentliches Merkmal dargestellt, auch eine Verletzung von Artikel 123(2) EPÜ vorläge. Mit anderen Worten, das EPA sah den neuen Anspruch ohne die Diagnose nicht mehr von dem ursprünglichen Anmeldetext gedeckt, der die Diagnose unverzichtbar umfasste.
Um diesen Einwänden im Erteilungsverfahren vor dem EPA vorzubeugen, ist eine sorgfältige Ausarbeitung der Anmeldung erforderlich. Demnach erscheint es sinnvoll, das gesamte Diagnostizierverfahren in einen ersten Teil, umfassend die Datenermittlung bis zu den für die Diagnose relevanten Zwischenergebnissen, und einen zweiten Teil, umfassend die Diagnose zu zerlegen. Der erste Teil sollte unabhängig von der Diagnose beschrieben und als ein Ziel der Erfindung dargestellt werden.
Zu berücksichtigen gilt insbesondere, dass der zu formulierende Datenermittlungs- bzw. Datenverarbeitungsanspruch nicht bereits Verfahrensschritte umfasst, beispielsweise die Feststellung einer Abweichung zu einem Standard und die Interpretation der festgestellten Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild, die das EPA unter den Begriff der Diagnose subsumiert (siehe z.B. T 125/02).
Bricht ein solcher Verfahrensanspruch vor der Diagnose bei den für die Diagnose relevanten Zwischenergebnissen ab, ist es kein „Diagnostizierverfahren“ und insoweit nicht vom Patentschutz ausgeschlossen (T 330/03, s. Ziffer 4.1; T 1102/02, s. Ziffer 2; T 9/04, s. Ziffer 5.2; T 990/03, s. Ziffern 2.2 und 2.3; und T 1255/06, s. Ziffer 3.3).