Nach deutschem Recht kann für dieselbe Erfindung sowohl Patent- als auch Gebrauchsmusterschutz erlangt werden. Die Schutzvoraussetzungen sind weit gehend identisch. Für Gebrauchsmuster gilt ein eingeschränkter Neuheitsbegriff, indem offenkundige Vorbenutzungen im Ausland sowie eigene Benutzungshandlungen und Veröffentlichungen des Gebrauchsmusters binnen sechs Monaten vor dem Prioritätstag außer Betracht bleiben (sog. „Neuheitsschonfrist“). In Bezug auf die erfinderische Tätigkeit (das GbmG spricht von „erfinderischem Schritt“) gilt seit der BGH-Entscheidung „Demonstrationsschrank“ derselbe Prüfungsmaßstab (s. Beitrag v. 20. September 2006).
Die Beurteilung der Schutzfähigkeit erfolgt jedoch in unterschiedlichen Verfahren durch verschiedene Instanzen. So werden europäische Patente von den Prüfungsabteilungen des Europäischen Patentamts (EPA) erteilt und im Fall von Einsprüchen von den Einpruchsabteilungen des EPA nochmals überprüft. Deren Entscheidungen können vor den Beschwerdekammern des EPA angefochten werden. Deutsche Gebrauchsmuster werden auf einen Löschungsantrag hin von einer Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) auf Schutzfähigkeit geprüft. Für Beschwerden gegen diese Entscheidungen ist der Gebrauchsmustersenat des Bundespatentgerichts (BPatG) zuständig.
Angesichts dieser Zuständigkeitsverteilung bleibt es nicht aus, dass zuweilen derselbe Schutzgegenstand unterschiedlich beurteilt wird. Da aber die für die Schutzfähigkeit maßgeblichen Rechtsvorschriften einheitlich angewendet werden sollten, stellt sich die Frage, ob und wie widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden kann. Der BGH war nun mit einem Fall befasst (Beschl. v. 15.4.2010 – Xa ZB 10/09 – Walzenformgebungsmaschine), in dem der Gebrauchsmustersenat des BPatG auf Löschung eines Gebrauchsmusters erkannt hatte, obwohl eine Einspruchsabteilung des EPA dieselbe Erfindung gegenüber dem gleichen Stand der Technik für schutzfähig erachtet hatte.
Der BGH wies darauf hin, dass zwar das EPA und das BPatG nicht an die Beurteilung der jeweils anderen Stelle gebunden seien. Jedoch erscheine es im Interesse einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung in der Regel geboten, sich mit einer abweichenden Entscheidung zum gleichen Gegenstand auseinander zu setzen. Der BGH hält es sowohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit als auch im Interesse einer Harmonisierung der Rechtsprechung im Geltungsbereich des Europäischen Patentübereinkommens für erforderlich, Entscheidungen des EPA und auch solche ausländischer Gerichte zu beachten. Allerdings sei es Sache der Partei, die sich auf die vorausgegangene Entscheidung berufen will, die erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte daraus ins nachlaufende Verfahren einzuführen. Dies war im Streitfall nicht geschehen, denn der Gebrauchsmusterinhaber hatte vor dem BPatG lediglich pauschal auf die abweichende EPA-Entscheidung hingewiesen. Ein solcher Hinweis löst nach dem BGH-Beschluss noch keine Verpflichtung des Gebrauchsmustersenats aus, sich mit der anderen Entscheidung eingehend auseinander zu setzen.