Im Patenrecht gilt der Grundsatz, dass eine Erfindung nicht der Öffentlichkeit durch Benutzung zugänglich gemacht gilt, solange die Erfindung nicht in den Einflussbereich der Öffentlichkeit gelangt ist und von einer zumindest stillschweigenden Geheimhaltungsverpflichtung der an der Erfindung beteiligten Parteien ausgegangen werden kann. Damit kann diese Erfindung aber auch nicht Patentanmeldungen Dritter als neuheitsschädlicher Stand der Technik entgegengehalten werden.

Was das in der Praxis für Konsequenzen haben kann, und dass es dabei wesentlich auf die Frage eines Geheimhaltungsinteresses ALLER an der Vorbenutzung beteiligten Parteien ankommt, belegt anschaulich die jüngere Beschwerdekammerentscheidung des EPA T2273/11 vom 5. April 2016, wie nachfolgend kurz zusammengefasst:

Ein Automobilzulieferer schlägt einem Automobilhersteller I im Rahmen einer Produktentwicklung ein neues Herstellungsverfahren vor, welches diesem Hersteller einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen würde. Mehr oder weniger zufällig wurde genau dieses Herstellungsverfahren anschließend von einem anderen Automobilhersteller („Automobilhersteller II“) patentiert und dieses Patent von dem Automobilzulieferer im Einspruchsverfahren wegen mangelnder Neuheit angegriffen. Der Neuheitsangriff basierte dabei auf der Vorbenutzung des Automobilzulieferers beim Autohersteller I, wobei unstreitig war, dass nur von einer stillschweigenden Geheimhaltungspflicht auszugehen ist, wenn beide (Automobilzulieferer und Automobilhersteller I) ein Interesse an der Geheimhaltung gehabt hätten. Während die Einspruchsabteilung dies noch für beide Parteien unterstellte, nahm die Beschwerdekammer in nächster Instanz dankend die Gegenargumentation des Autozulieferers auf, wonach er jedenfalls keinerlei Interesse an einer Geheimhaltung hatte. Im Gegenteil sei es für ihn als Zulieferer an alle möglichen Automobilhersteller von Vorteil, mit möglichst vielen ins Geschäft zu kommen, denn nur so könnten sich die Entwicklungskosten amortisieren. Pikanterweise wurde von einem Zeugen des Automobilzulieferers auch noch ergänzend dazu erklärt, dass dieses Verfahren auch der Patentinhaberin vorgestellt wurde.

Da somit aus Sicht der Beschwerdekammer zumindest der Automobilzulieferer kein Geheimhaltungsinteresse an dem neuem Herstellungsverfahren im Rahmen der Vorbenutzung beim Automobilhersteller I hatte, wurde diese Vorbenutzung als „öffentliche“ Vorbenutzung qualifiziert, konnte dem Patent des Automobilherstellers II als neuheitsschädlicher Stand entgegengehalten werden und führte im Ergebnis zum Widerruf des Patents.