Für Anmelder auf dem Gebiet der Biotechnologie und Gentechnik hat sich die Messlatte des Europäischen Patentamts (EPA) bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit im Zuge des exponentiellen Zuwachses an Fachwissen und Methoden in den letzten Jahrzehnten deutlich nach oben verschoben. Die anfängliche „Hoffnung auf gutes Gelingen“ als Wunsch und in Vertrauen auf Glück und Geschick des Fachmanns ist unter Anwendung zwischenzeitlich etablierter Routinetechnologien der „angemessenen Erfolgserwartung“ gewichen. Letzteres reicht gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (z.B. T 207/94) nicht aus um erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ zu begründen.
Davon kaum tangiert sind jedoch auf Mutanten gerichtete Erfindungen, selbst wenn die Herstellung der Mutanten als Wunsch klar auf der Hand liegt. Die Beschwerdekammern des EPA erkennen immer noch regelmäßig die erfinderische Tätigkeit von auf Mutanten gerichteter Ansprüche an, da der Stand der Technik bis heute kaum Möglichkeiten bietet, zielgerichtet und vorhersehbar zu den gewünschten Mutanten zu gelangen. So auch in jüngster Entscheidung T 67/11 vom 26. Mai 2014.
In T 67/11 war der Gegenstand der Erfindung ein humanisierter Mausantikörper, dem Mutationen hinzugefügt wurden. Der Mausantikörper war aus dem Stand der Technik zur Krebsbehandlung beim Menschen bereits bekannt. In einem ersten Schritt wurden bei dem Antikörper Maus-spezifische Aminosäuren durch für Menschen spezifische Aminosäuren ersetzt um den Antikörper bei der Verwendung am Menschen verträglicher zu gestalten. Die Kunst bei der Herstellung solcher humanisierter Antikörper ist es, mit dem erheblichen Eingriff in die Antikörpersequenz nicht auch seiner Bindungswirkung mit dem Krebsantigen verlustig zu gehen. Sonst hat man zwar einen für den Menschen verträglichen Antikörper, dieser ist jedoch für seinen ursprünglich vorgesehenen Zweck nutzlos geworden. Ein aus dem Stand der Technik bekanntes „Rezept“ zur Lösung des Problems liegt in der weiteren Mutagenese des humanisierten Maus-Antikörpers, d.h. der Erzeugung von Mutationen, welche die ursprüngliche Bindungswirkung des Antikörpers an das Krebsantigen zumindest teilweise widerherstellt. Klingt einfach, ist es aber nicht, da das Ergebnis wie bei einer Lotterie unvorhersehbar und die richtige Mutante der Hauptgewinn ist.
Wenn, wie im T 67/11 zu entscheidenden Fall, der Erfolg der Mutagenese nicht mit Sicherheit vorauszusehen ist, muss sich der Fachmann allein auf seine „Hoffnung auf gutes Gelingen“ verlassen. Letzteres reicht gemäß etablierter Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA jedoch auch weiterhin nicht aus, um erfinderische Tätigkeit zu verneinen.