Ein Patent wird als Gegenleistung für eine funktionierende und mehr oder weniger vollständige, in jedem Fall aber „ausreichende“ Offenbarung der Erfindung erteilt – getreu dem Motto Leistung (Patent) gegen Gegenleistung (ausreichende Offenbarung der Erfindung). Im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Patentamts zu dem entsprechenden Artikel 83 des Europäischen Patentübereinkommens heißt das: die Erfindung muss für den Fachmann aufgrund der in der Patentanmeldung zur Verfügung stehenden Informationen ohne unzumutbaren Aufwand über die gesamte Anspruchsbreite, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme seines Fachwissens, zum Zeitpunkt der Anmeldung nacharbeitbar sein.

Während sich Patenprüfer in der frühren Praxis eher wenig für die Funktionstüchtigkeit und „ausreichende“ Offenbarung der ihnen vorgelegten Erfindungen interessierten und ihr Augenmerk auf die Neuheit und erfinderische Tätigkeit der angemeldeten Erfindungen richteten, rückt die Problematik der nicht ausreichenden Offenbarung der Erfindung immer häufiger in den Fokus des Europäischen Patentamts, sowohl im Erteilungs- als auch im Einspruchsverfahren. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidungen T 1832/06 der Technischen Beschwerdekammern  3.3.06 vom 16. Okt 2009.

Gegenstand des Patents war ein  Verfahren zum Imprägnieren von Laminatfußboden-Dekorpapieren, bei dem auf angefeuchtetes Dekorpapier eine Schicht aus einem Aminoharz in spezieller Dispersion aufgedüst wird, wobei die endgültige Flächenmasse – bezogen auf die Trockenmasse des Rohpapiers – 100% bis 250% beträgt und die Dispersion partikelförmiges Abriebmaterial enthält.

Die Anmeldung selbst definierte keinen der im Anspruch verwendeten Begriffe „Rohpapier“, „Dekorpapier“, „Trockenmasse“ oder „endgültige Trockenmasse“. Die Patentinhaberin hatte zunächst insoweit Glück, dass sie im Erteilungsverfahren den Klarheitseinwand des Prüfers in Bezug auf das beanstandete Merkmal der endgültigen Flächenmasse ausräumen konnte. Das Patent wurde erteilt. In dem sich anschließenden Einspruchsverfahren wurde jedoch der Einspruchsgrund der nicht ausreichenden Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) geltend gemacht, so dass das EPA sich noch einmal mit der Frage der ausreichenden Offenbarung und dem Verständnis des anspruchgemäßen Merkmals „wobei die endgültige Flächenmasse – bezogen auf die Trockenmasse des Rohpapiers – 100% bis 250% beträgt“ beschäftigen konnte und diesmal zu Ungunsten der Patentinhaberin entschied.

Nach Ansicht der Kammer waren aus dem Streitpatent weder entsprechende Definitionen für die im Anspruch verwendeten Begriffe „Rohpapier“, „Dekorpapier“, „Trockenmasse“ oder „endgültige Trockenmasse“ herleitbar noch gaben die Beispiele zur Interpretation der Begriffe Hilfestellung.  Problematisch war insbesondere, dass die spätere Interpretation der Begriffe durch die Patentinhaberin auch von allgemein gebräuchlichen Definitionen abwich. So wurde beispielsweise angegeben, dass die „Trockenmasse“ gemäß der Erfindung immer eine variable Restfeuchte beinhaltet, während die allgemein gebräuchliche Definition für „Trockenmasse“ von einer Gesamtmasse mit Ausnahme der Masse des Wassers ausgeht. Nach Auffassung der Kammer war der Fachmann letztendlich nicht in der Lage die verwendeten Parameter richtig zu interpretieren und das unter den Anspruchswortlaut fallende Verfahren nachzuarbeiten. Das Patent wurde widerrufen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass man zumindest die in den Ansprüchen verwendeten Begriffe möglichst umfassend in der Beschreibung der Patentanmeldung definiert, insbesondere wenn sich diese von gebräuchlichen Definitionen unterscheiden. Auf dieses eigene „Lexikon“ in der Beschreibung kann dann bei Bedarf zurückgegriffen werden, beispielsweise, wenn sich Begrifflichkeiten über die Laufzeit eines Patents ändern und es zu ergründen gilt, was durch den Patentanspruch genau geschützt sein soll.