Die Entdeckung neuer und überraschender Eigenschaften eines bereits bekannten Stoffes oder Erzeugnisses kann Grundlage für eine patentierbare Erfindung bilden. Derartige Erfindungen werden üblicherweise als Verwendungsansprüche, d.h. Ansprüche, die eine „Verwendung des Stoffes X für einen bestimmten Zweck“ definieren, formuliert. Die Patentierbarkeit einer neuen und erfinderischen Verwendung eines bereits bekannten Erzeugnisses oder Stoffes wurde durch die Rechtsprechung der Große Beschwerdekammer des EPA etabliert, basierend insbesondere auf den ersten Entscheidungen für medizinische Verwendungen (G 1-7/83) als auch für nicht-medizinische Verwendungen (G 2/88 und G 6/88).

Ob diese Rechtsprechung auch auf Verfahrensansprüche anwendbar sein könnte, hat die jüngste Entscheidung T 0304/08 der Technische Beschwerdekammer 3.3.10 des EPA vom 26. August 2009 klargestellt und im Ergebnis verneint. Zu beurteilender Gegenstand des Streitpatents war ein Verfahrensanspruch mit folgendem Wortlaut: Verfahren zum Verringern von unangenehmen Gerüchen in Zusammenhang mit einem absorbierenden Wegwerfprodukt, das für die Absorption von Körperfluida gedacht ist, wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst: Aufbringen einer wirksamen Menge eines oberflächenaktiven Mittels, das ein hydrophil-lipophiles Gleichgewicht (HLB) von weniger als 12 aufweist, auf ein absorbierendes Produkt vor seiner Verwendung, wobei das oberflächenaktive Mittel wirksam ist, um den Geruch von Urin zu verringern; wobei das absorbierende Produkt ein wasserquellbares, im Allgemeinen wasserunlösliches absorbierendes Hydrogel-Polymer-Material umfasst.

In erster Instanz hatte die Einspruchsabteilung zunächst die Auffassung vertreten, dass das beanspruchte Verfahren neu sei, weil kein älteres Dokument das Merkmal „zum Verringern von unangenehmen Gerüchen in Zusammenhang mit einem absorbierenden Wegwerfprodukt“ offenbarte. In den Entscheidungsgründen verwies die Einspruchsabteilung unter Bezugnahme auf die Richtlinien im Europäischen Patentamt indirekt auf die Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 zu Verwendungsansprüchen.

Dem wollte die Beschwerdekammer in nächster Instanz nicht folgen. Die Beschwerdekammer vertrat in ihrer Entscheidung T 0304/08 die Auffassung, dass das beanspruchte Verfahren, das sich von den in einem älterenDokument beschriebenen Verfahren allein in dem Merkmal „zum Verringern von unangenehmen Gerüchen in Zusammenhang mit einem absorbierenden Wegwerfprodukt“ unterschied, nicht neu sei. Sie hatte sich dabei von der Überlegung leiten lassen, dass sich die in den erwähnten Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 zu Verwendungsansprüchen aufgestellten Kriterien nicht auf Verfahrensansprüche übertragen lassen. Das las die Beschwerdekammer bereits aus der Entscheidung G 2/88 heraus, in der unter Ziffer 5.1 betont wird, dass Verwendungsansprüche, d.h. die Verwendung eines Gegenstandes zur Erzielung einer „Wirkung“ und Verfahrensansprüche, insbesondere zur Herstellung eines „Erzeugnisses“, zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Auch schweigen sich beide Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 zu Verfahrensansprüchen mit Zweckangabe aus und gehen allein auf die neue Zweckangabe bekannter Stoffe ein, die als technisches Merkmal bei der Frage der Neuheit von Verwendungsansprüchen mit zu berücksichtigen ist. Da das beanspruchte Verfahren des Streitpatents ohne dem Zweckmerkmal „zum Verringern von unangenehmen Gerüchen in Zusammenhang mit einem absorbierenden Wegwerfprodukt“ aus dem Stand der Technik bekannt war, die bekannten Verfahren aber auch für diesen Zweck geeignet waren, sah die Beschwerdekammer das Verfahren im Ergebnis nicht mehr als neu an.