Im Rahmen der Beurteilung, ob eine Erfindung auf „erfinderischer Tätigkeit“ beruht, stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit für einen „Durchschnittsfachmann“ auf dem einschlägigen technischen Gebiets Veranlassung bestand, sich Anregungen aus anderen technischen Gebieten zu holen. Enthalten Vorveröffentlichungen aus Nachbargebieten konkrete Anregungen in Richtung auf die Erfindung, ist „erfinderische Tätigkeit“ und damit Patentfähigkeit normalerweise zu verneinen. Nach der Rechtsprechung ist vom Fachmann zu erwarten, dass er sich nach Lösungsvorbildern auf übergeordneten oder Nebengebieten umsieht (z. B. BGH, Urt. v. 11.12.2007 – X ZR 57/03: „…Von einem Entwickler mit der hier zugrundeliegenden Qualifikation ist jedoch zu erwarten, dass er sich auf dem seinem Fachgebiet übergeordneten allgemeinen technischen Gebiet, hier der spanabhebenden Bearbeitung mit rotierenden Werkzeugen, grob auskennt und sich dort zu findende Lösungen nutzbar macht (…). …“; s. a. BPatG, Beschl. v. 15.2.1991 – 15 W (pat) 47/88 – Hochspannungstransformator; ebenso das EPA, s. T 176/84 – Möbius; T 454/87 – Probenzuführgerät/IBM; T 195/84 – Technisches Allgemeinwissen/BOEING).
Zuvor allerdings ist stets die Frage zu beantworten, ob ein Nachbargebiet in diesem Sinne vorliegt. Der BGH nahm dazu in einer aktuellen Leitsatzentscheidung „Telekommunikationseinrichtung“ Stellung (Urt. v. 15.4.2010 – Xa ZR 69/06). Dabei ging es um eine Erfindung im Bereich der Internettelefonie, für die maßgebliche Anleihen aus der ISDN-Technik gemacht worden waren. Hierbei ging der BGH davon aus, dass sich die Bereiche ISDN einerseits und IP-basierte Netze andererseits lange Zeit getrennt voneinander entwickelt hatten. Dies sprach im Ausgangspunkt für die Patentfähigkeit. Jedoch stellte der BGH auch fest, dass es vor dem Prioritätstag schon Grenzüberschreitungen zwischen beiden Bereichen gegeben habe. Hierzu verwies er auf eine Pressemitteilung, mit der wenige Wochen vor dem Prioritätstag Internet-Telefonie-Server angekündigt worden waren. Sofern sich dann noch das der Erfindung zugrunde liegende Problem in beiden Bereichen in ähnlicher Weise stelle, sei eine hinreichende Veranlassung für den Fachmann gegeben, sich auf dem anderen Gebiet umzuschauen, möge auch vorher eine „gedankliche Kluft“ bestanden haben.
An der Begründung fällt auf, dass der BGH den „Durchschnittsfachmann“ nicht anhand eines bestimmten Qualifikationsprofils definiert. Stattdessen stellt er auf konkrete Beispiele für bereits erfolgte Übernahmen von Lösungen aus dem anderen Gebiet ab. Dies deutet darauf hin, dass die Frage, ob zwei Gebiete technisch benachbart ist, weniger schematisch anhand einer bestimmten Qualifikation des einschlägigen Fachmanns zu beantwortet werden soll, sondern durch Prüfung, ob es schon konkrete Beispiele für die Übertragung von Lösungen zwischen den Gebieten gegeben hat.