Wer in der EU ein Zeichen durch eine Markeneintragung schützen möchte, kann entweder für die gesamte EU eine Gemeinschaftsmarke oder in einzelnen Mitgliedstaaten nationale Marken anmelden. Beide Schutzsysteme bestehen parallel zueinander. Dabei bilden die Regelungen für Gemeinschaftsmarken ein autonomes System, dessen Anwendung von den nationalen Systemen unabhängig ist (EuGH, Urt. v. 17.7.2008 – C-488/06-P – Aire Limpio). Das für die Eintragung von Gemeinschaftsmarken zuständige Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) fühlt sich deshalb in keiner Weise an Entscheidungen nationaler Ämter und Gerichte gebunden.

Von dieser Autonomie hat der EuGH nun eine Ausnahme gemacht. Wird gegen eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung ein Widerspruch aus einer älteren nationalen Marke erhoben, dann darf das HABM diese Widerspruchsmarke nicht als vollständig schutzunfähig behandeln, auch wenn es das geschützte Zeichen beispielsweise für beschreibend hält (Urt. v. 24.5.2012 – C-196/11 P – F1). Da das HABM die Wirksamkeit der nationalen Eintragung nicht in Frage stellen könne, müsse es einer solchen Marke eine gewisse Unterscheidungs- bzw. Kennzeichnungskraft und damit einen Mindestschutzumfang zubilligen (vgl. für das deutsche Widerspruchsverfahren BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – I ZB 54/05 – Pantohexal: der Widerspruchsmarke dürfe nicht jede Unterscheidungskraft abgesprochen werden). Wird eine solche, vermeintlich schutzunfähige nationale Marke als Teil in eine jüngere Marke aufgenommen, kann die Verwechslungsgefahr nicht bereits mit dem Argument verneint werden, das ältere Zeichen sei gar nicht schutzfähig.

Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass ein Streit über die Schutzfähigkeit des älteren nationalen Rechts nicht im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vor dem HABM, sondern in einem separaten Löschungsverfahren vor nationalen Instanzen ausgetragen werden muss. Allerdings sind solche Löschungsanträge gegen nationale Marke zuweilen nur binnen bestimmter Fristen möglich, z. B. in Deutschland nur in den ersten zehn Jahren ab Eintragung der Marke. Anmelder von Gemeinschaftsmarken, die mit einem Widerspruch aus einer solchen Marke konfrontiert sind, sollten die Option eines Löschungsverfahrens also sehr frühzeitig prüfen.