Ein gewerbliches Schutzrecht gewährt nicht nur Verbietungsrechte, sondern auch ein „positives Benutzungsrecht“ für seinen Inhaber, d. h. unter bestimmten Voraussetzungen können Ansprüche aus anderen gewerblichen Schutzrechten unter Berufung auf dieses Recht abgewehrt werden (s. Beitrag v. 13.8.2007).
Für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster hat der EuGH nun entschieden, dass diese Abwehrfunktion nur gegenüber jüngeren Geschmacksmustern in Frage kommt (Urt. v. 16.2.2012 – C-488/10 – Cegasa/PROIN). Im Streitfall hatte ein Unternehmen, das von einem anderen wegen Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters belangt worden war, seinerseits ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für das betroffene Produkt angemeldet und eintragen lassen, um sich anschließend auf ein daraus folgendes „positives Benutzungsrecht“ zu berufen. Solange die jüngere Registrierung in Kraft sei, könne der Inhaber des älteren Geschmacksmusterrechts seine Ansprüche nicht geltend machen. Praktisch hätte das bedeutet, dass zunächst in einem mehrjährigen Verfahren die Nichtigkeitserklärung des jüngeren Rechts hätte betrieben werden müssen, bevor Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche hätten geltend gemacht werden können.
In seiner Begründung beließ es der EuGH allerdings nicht bei einem Hinweis auf das Prioritätsprinzip, also etwa dass „positive Benutzungsrechte“ generell nicht aus später angemeldeten Schutzrechten folgen könnten. Vielmehr setzte sich der EuGH mit dem Eintragungsverfahren für Gemeinschaftsgeschmacksmuster auseinander und stellte heraus, dass dabei Kollisionen mit älteren Rechten nicht geprüft würden. Insbesondere fehle ein Widerspruchsverfahren wie bei Gemeinschaftsmarken.
Die letztgenannte Erwägung lässt aufhorchen, weil sie andeutet, im Gemeinschaftsmarkenrecht könnten die Dinge anders liegen. Das ist auch der Fall, jedoch enthält die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke im Gegensatz zu der über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster eine ausdrückliche Regelung für „positive Benutzungsrechte“ aus jüngeren Rechten. Sie ergeben sich aufgrund von Verwirkung, wenn der Inhaber des älteren Rechts die gutgläubige Benutzung der jüngeren Gemeinschaftsmarke über fünf Jahre hinweg kennt und duldet (Art. 54 der Gemeinschaftsmarkenverordnung). Nachdem der EuGH im jetzigen Urteil nicht auf diese Regelung eingegangen ist, kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass sie analog im Geschmacksmusterrecht angewendet werden könnte (im Gegensatz dazu hatte das EuG die markenrechtliche Benutzungseinrede im geschmacksmusterrechtlichen Nichtigkeitsverfahren für zulässig erachtet, s. Beitrag v. 18.5.2010).