In Markenstreitfällen kommt es nicht selten vor, dass der Markeninhaber gegen eine Zeichenbenutzung vorgeht, die schon vor der Anmeldung der Klagemarke begonnen hat. Nach deutscher Praxis spielt diese Vorbenutzung im Grundsatz keine Rolle, soweit es um die Pflicht zur Unterlassung der künftigen Zeichenbenutzung geht. Der belangte Zeichenbenutzer muss also sein Zeichen aufgeben, obwohl er die Benutzung früher als der Markeninhaber begonnen hat. Allenfalls beim Schadensersatz kann es Abstriche geben, weil und soweit dem Vorbenutzer kein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann (BGH, Urt. v. 26.02.1971 – I ZR 67/69 – Oldtimer).

In anderen Rechtsordnungen ist diese Vorbenutzungsproblematik anders gelöst. So beschränkt z. B. in der Schweiz Art. 14 des dortigen Markenschutzgesetzes (MSchG) die Verbietungsrechte von Markeninhabern allgemein auf erst nach der Markenanmeldung begonnene Zeichenbenutzungen (sog. „Weiterbenützungsrecht“).

Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zum Markenrecht (Gemeinschaftsmarkenverordnung, GMV und Markenrechtsrichtlinie, MRRL) entsprechen der deutschen Gesetzeslage, sehen also kein Vorbenutungs- oder Weiterbenutzungsrecht, sondern nur einen Tatbestand der „Bösgläubigkeit“ vor. Ist eine Markenanmeldung „bösgläubig“ erfolgt, liegt hierin ein absolutes Eintragungshindernis. In diesem Rahmen spielt die Frage der Vorbenutzung eine Rolle, wobei ihr in der Praxis der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten allerdings sehr unterschiedliches Gewicht verliehen wurde. So wurden in Deutschland etwa die Anforderungen an die Bösgläubigkeit relativ hoch angesetzt, und eine Vorbenutzung konnte nur einer von mehreren zu berücksichtigen Umständen sein. In Schweden hingegen hat man der Vorbenutzung ein solches Gewicht beigemessen, dass der Tatbestand der Bösgläubigkeit einem Vorbenutzungsrecht stark angenähert war.

In seinem Urteil „Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli“ vom 11. Juni 2009 hat der EuGH nun zu diesem Fragenkomplex Stellung genommen (Az.: C 529/07). Danach kann eine Bösgläubigkeit des Anmelders nicht allein damit begründet werden, dass er am Anmeldetag bereits von dem vorbenutzten und später angegriffenen Zeichen wusste. Damit ist implizit gesagt, dass die Vorbenutzung als solche in keinem Fall dem Verletzungsvorwurf entgegen gehalten werden kann. Im Gegenteil, nach dem EuGH ist es ein „berechtigtes Ziel“, wenn die Marke angemeldet wird, um eine ganz bestimmte, bekannt gewordene Zeichenbenutzung nachträglich zu unterbinden, wenn diese Zeichenbenutzung noch nicht lange andauert. Das ist eine klare Absage an das Schweizer Modell des Art. 14 MSchG. Im deutschen wie auch im europäischen Markenrecht wird es also weiterhin kein Vorbenutzungsrecht geben, auch nicht als Richterrecht.

Hingegen ist, so der EuGH, von Bösgläubigkeit auszugehen, wenn sich herausstellt, dass der Markenanmelder tatsächlich keinerlei Benutzungsabsicht hatte. Das entspricht der bisherigen deutschen Praxis (BGH, Urt. v. 23. 11. 2000 – I ZR 93/98 – Classe E).

Im Übrigen soll die Beurteilung der Bösgläubigkeit von den zahlreichen Umständen des konkreten Einzelfalls abhängen. So pflichtet der EuGH seiner Generalanwältin darin bei, dass auch die Art der Marke eine Rolle spielen kann. Im Streitfall ging es um eine 3D-Marke für eine Warengestaltung, es ist also die Gestaltungsfreiheit beim Produktdesign berührt, was für eine besonders kritische Prüfung der Bösgläubigkeit spricht. Auch die Dauer der Vorbenutzung soll eine Rolle spielen können. Der EuGH nennt hierbei allerdings als zusätzliche Anforderung, dass das vorbenutzte Zeichen „in einem gewissen Grad rechtlichen Schutz genießt“. Ein gradueller Schutz ist dem Markenrecht bislang fremd, so dass wohl spätere Entscheidungen zeigen müssen, was genau sich dahinter verbirgt.