Computerprogramme genießen in der EU urheberrechtlichen Schutz nach den Vorgaben der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen. Dieser Schutz gilt der Richtlinie zufolge für alle Ausdrucksformen eines Computerprogrammes, wie es auch in der deutschen Umsetzung der Richtlinie in den §§ 69a ff. des Urheberrechtsgesetzes kodifiziert ist. Streitig war allerdings lange Zeit, ob auch die grafische Benutzeroberfläche eines Computerprogramms als eine Ausdrucksform dieses Programms vom urheberrechtlichen Schutz umfasst ist (dafür z. B. OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.6.1994 – 6 U 52/94; zur Ablehnung bei HTML-Code s. Beitrag v. 28.8.2007). Der EuGH hat diese Frage jetzt verneint.
In dem Urteil C-393/09 vom 22. Dezember 2010 setzt sich der EuGH mit der Frage auseinander, wie der Begriff „alle Ausdrucksformen eines Computerprogramms“ auszulegen ist. Da dieser Begriff in der Richtlinie 91/250/EWG selbst nicht definiert ist, kommt er anhand der Entstehungsgeschichte der Richtlinie und der darin erwähnten Tatsache, dass auch Entwurfsmaterialien für Computerprogramme geschützt sein können, zu dem Ergebnis, dass jede Ausdrucksform eines Computerprogramms dessen Vervielfältigung oder aber vollständige Herstellung (im Fall von Entwurfsmaterialien) ermöglichen muss. In einer grafischen Benutzeroberfläche sieht der EuGH lediglich eine Schnittstelle zum menschlichen Benutzer des Programms, die isoliert betrachtet weder eine Vervielfältigung des gesamten Computerprogramms noch dessen vollständige Herstellung ermöglicht. Da die Benutzeroberfläche somit lediglich ein Element des Computerprogramms darstellt, ist sie keine Ausdrucksform des gesamten Computerprogramms und wird vom urheberrechtlichen Schutz für Computerprogramme nicht erfasst.
Der EuGH setzt sich auch mit der Frage auseinander, ob eine grafische Benutzeroberfläche losgelöst vom urheberrechtlichen Schutz des Computerprogramms als Werk (vergleichbar einem Werk der Kunst oder Literatur) Schutz genießen kann. Im Grundsatz bejaht der EuGH dies, setzt aber recht hohe Hürden im Hinblick auf die erforderliche urheberrechtliche Originalität oder Schöpfungshöhe einer solchen grafischen Oberfläche. Denn wenn die Anordnung oder grafische Gestaltung der Benutzeroberfläche oder ihrer Komponenten vorgegeben ist durch deren technische Funktion bei der Interaktion mit dem Computerprogramm, kann der Urheber darin nicht seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck bringen und damit die urheberrechtliche Schwelle der Originalität überwinden.
Urheberrechtlicher Schutz für grafische Benutzeroberflächen von Programmen wird somit auch in Zukunft nur schwer erhältlich und durchsetzbar sein. Einen Freifahrtschein zum Kopieren von Websites hat der EuGH damit jedoch nicht ausgestellt. Denkbar ist ohne Weiteres, dass Einzelelemente von Websites z. B. als Sprachwerk oder Lichtbild eigenständigen Schutz genießen. Unter Wettbewerbern kommt daneben auch ein Schutz von Internetauftritten über das UWG, insbesondere den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz (z. B. LG Köln, Urt. v. 20.6.2007 – 28 O 798/04), in Betracht.