Dass Computerprogramme als solche urheberrechtlichen Schutz genießen, ist spätestens seit der Umsetzung der Computerprogramm-Richtlinie (91/250/EWG a.F., 2009/24/EG n.F.) allgemein anerkannt. Dementsprechend genießen Computerprogramme Schutz nur in ihrer konkreten Ausdrucksform.
Diesen Grundsatz hat nun jüngst der EuGH (Urt. v. 2.5.2012 – C-406/10 – SAS Institute) bekräftigt, indem er die reine Funktionalität eines Computerprogramms nicht als dessen Ausdrucksform einstuft. In Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie stützt sich der Gerichtshof dabei auf den Grundsatz, wonach all diejenigen Ausdrucksformen schutzfähig sind, die es erlauben, ein Computerprogramm in verschiedenen Datenverarbeitungssprachen zu vervielfältigen, wie zum Beispiel Quell- oder Objektcode (vgl. schon EuGH, Urt. v. 22.12.2010 – C-393/09 – BSA). Auch sieht er in Programmiersprachen und Dateiformaten keine schutzfähigen Ausdrucksformen, da durch diese Elemente lediglich die Funktionen des Programms genutzt werden. Ob sich dieses Kriterium der Funktionsnutzung allerdings in der Zukunft als taugliches Abgrenzungskriterium erweisen kann, muss sich zeigen. Denn zum einen wird der urheberechtliche Schutz – zumindest nach deutschem Verständnis – in der Regel zweckneutral gewährt. Zum anderen genießen beispielsweise auch Anwendungsprogramme, die die Funktionen des Betriebssystems nutzen, urheberrechtlichen Schutz, ohne dass deren Ausdrucksform dadurch in Frage gestellt wird.
Die Möglichkeit der Analyse von Programmfunktionalitäten als solche darf nach Auffassung des EuGH auch nicht lizenzvertraglich eingeschränkt werden. Denn da für das Laden und Ablaufenlassen des Computerprogramms ausweislich der Erwägungsgründe s. a. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie keine besondere Lizenz erforderlich ist, müssen Programmideen und -grundsätze dadurch ermittelt werden können, sofern im Übrigen nicht gegen die Rechte des Lizenzgebers verstoßen wird. Etwas anderes gilt allerdings, wenn zur Analyse der Programmcode dekompiliert wird. Dann sind die engen Grenzen des Art. 6 der Richtlinie (§ 69e UrhG) zu beachten. Danach dürfen die so ermittelten Ideen und Grundsätze ohne Zustimmung des Rechtsinhabers ausschließlich zur Herstellung der Interoperabilität verwendet werden.
Für die Praxis bedeutet dies: Solange ein Programmierer lediglich die Funktionalitäten eines anderen Programms in seinem Programm übernimmt, ohne dass er dazu den Programmcode analysiert hat, kann noch nicht von einer Urheberrechtsverletzung ausgegangen werden. Werden aber Teile des Programmcodes oder der Programmstruktur übernommen, kommt eine Übernahme der Ausdrucksform des Computerprogramms in Betracht. Eine weitere Schwierigkeit bei der Schutzfähigkeit von Computerprogrammen besteht dann, wenn deren Elemente durch technische Gegebenheiten bestimmt werden, die nicht genügend Spielraum lassen, um die Schaffung ähnlicher oder sogar identisch funktionierender Programme zu ermöglichen. Denn dann ist fraglich, ob das Computerprogramm die notwendige Individualität besitzt. Für das deutsche Softwarerecht hat der BGH dazu aber schon vor einiger Zeit entschieden, dass jedenfalls bei komplexen Computerprogrammen eine tatsächliche Vermutung für eine hinreichende Individualität der Programmgestaltung besteht (vgl. BGH, Urt. 3.5.2005 – I ZR 111/02 – Fash 2000).