Damit ein Erzeugnis als GGM Schutz genießt, muss es sowohl neu sein als auch eine sog. Eigenart aufweisen. Bei der Beurteilung der Eigenart kommt es dabei darauf an, inwieweit sich die Gestaltung des Erzeugnisses in seinem Gesamteindruck für die betreffenden Benutzer vom Gesamteindruck bereits bekannter Formgestaltungen unterscheidet. Unbeantwortet ist damit aber die Frage, ob bei dieser Beurteilung auch auf eine Kombination von einzelnen Gestaltungsmerkmalen verschiedener älterer Muster zurückgegriffen werden kann, oder ob – wie der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) nahelegt – nur ein Einzelvergleich mit vorbekannten Geschmacksmustern zulässig ist.
In Deutschland hatte bereits vor einigen Jahren der Bundesgerichtshof entschieden, dass sich die Eigenart anhand eines Einzelvergleichs bemisst (vgl. BGH, Urt. v. 22.4.2010 – I ZR 89/08, Rn. 33 – verlängerte Limousinen). Dieser Ansicht hat sich nun auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren angeschlossen (Urt. v. 19.6.2014 – C-345/13 – Karen Millen). Darin stellt er fest, dass für die Bejahung der Eigenart eines GGM sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, nicht vom Gesamteindruck, den eine Kombination isolierter Elemente von mehreren älteren Geschmacksmustern hervorruft, auszugehen ist. Vielmehr muss sich der Gesamteindruck des GGM vom Gesamteindruck, den ein oder mehrere ältere Geschmacksmuster für sich genommen hervorrufen, unterscheiden.
Bei nicht-eingetragenen GGM schließt sich aus verfahrensrechtlicher Sicht daran oft die Frage an, in welchem Umfang der Anspruchsteller die Eigenart seines GGM darlegen und ggf. beweisen muss. So ist er nach Art. 85 Abs. 2 GGV verpflichtet, zum einen zu beweisen, dass das Klagemuster die Voraussetzungen nach Art. 11 GGV erbringt. Zum anderen muss er aber lediglich angeben, inwieweit sein Geschmacksmuster die notwendige Eigenart (Art. 6 GGV) besitzt. Da aber die Regelungen des Art. 11 Abs. 1 GGV ebenfalls auf die allgemeinen Voraussetzungen für die Schutzfähigkeit eines Geschmacksmusters – und damit auch auf Art. 6 GGV – verweisen, war bisher umstritten, wie umfangreich der Kläger zur Eigenart vortragen muss, insbesondere, ob er auch den vorbekannten Formenschatz darlegen und ggf. auch recherchieren muss.
Während in Deutschland z. B. das OLG Hamburg (Urt. v. 23.4.2008 – 5 U 101/07) verlangte, dass zumindest in Ansätzen auch dargelegt werden müsse, welcher Formenschatz im weiteren Ähnlichkeitsbereich verfügbar ist (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.3.2011 – 6 W 17/11), sah dagegen das Landgericht Düsseldorf (Urt. v. 18.4.2007 – 14c O 78/06) keine Notwendigkeit für den Anspruchsteller, potentielle Entgegenhaltungen vorzulegen, sofern die Unterschiede zum vorbekannten Formenschatz jedenfalls beschrieben werden.
Nun stellt der EuGH klar, dass der Inhaber eines nicht-eingetragenen GGMs nicht von vornherein zum Nachweis verpflichtet ist, dass sein GGM Eigenart besitzt. Vielmehr reicht es aus, dass er ein oder mehrere Elemente benennt, die seinem Geschmacksmuster Eigenart verleihen, damit das zuständige Gericht es als rechtsgültig ansieht. In seiner Begründung verweist der EuGH dabei u. a. darauf, dass andernfalls die Möglichkeit des Beklagten, die Rechtsgültigkeit des nicht-eingetragenen GGMs mittels Nichtigkeitswiderklage in Frage zu stellen, größtenteils sinnlos und inhaltsleer wäre. Zudem widerspräche eine solche Auslegung dem Gedanken der effektiven Durchsetzung von nicht-eingetragenen GGM.
Eine umfassende Darlegung zum vorbekannten Formenschatz ist damit von Seiten des Anspruchstellers grds. nicht notwendig. Aus praktischer Sicht entlastet es ihn aber dennoch nicht, vorab eine entsprechende Recherche vorzunehmen. Denn nur dadurch lassen sich die Risiken aus etwaigen Einwendungen oder Widerklagen gestützt auf eine fehlende Eigenart besser einschätzen. Zudem ist es im Eilrechtsschutz ratsam, sich jedenfalls mit dem für den Anspruchsteller bekannten Formenschatz im Antrag ans Gericht auseinanderzusetzen, um vor Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Anhörung des Verletzers zu vermeiden (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.3.2011 – 6 W 17/11).