Ebenso wie Patente schützen Gebrauchsmuster „Erfindungen“. Was eine „Erfindung“ ist, definiert das Gesetz jedoch nicht. Da sie sich aber, um schutzfähig zu sein, insbesondere durch Neuheit vom „Stand der Technik“ abheben muss (s. § 3 Abs. 1 des Gebrauchsmustergesetzes), ist klar, dass eine „Erfindung“ nur etwas Technisches sein kann. Man spricht von „technischem Charakter“ oder „Technizität“. Ob ein Schutzgegenstand „Technizität“ aufweist, ist jedoch zuweilen nur schwer zu beurteilen.
Der Beschwerdesenat für Gebrauchsmustersachen des Bundespatentgerichts (5. Senat des BPatG) hatte es nun mit einem Fall zu tun, der diese Schwierigkeiten veranschaulicht. Der Hauptanspruch des Streitgebrauchsmusters enthielt die Merkmale:
(1) Gehäuse einer Computer-Maus,
(2) mit einer unteren und einer oberen Gehäuseschale, (gekennzeichnet durch)
(3) einen Flüssigkeitsbehälter umfassend Schwimmkörper als Dekorationsobjekte,
(4) wobei der Flüssigkeitsbehälter transparent ausgebildet
(5) und so geformt und bemessen ist, dass er in einem Hohlraum in dem Gehäuse der Computer-Maus
(6) in deren rückwärtigen Bereich aufgenommen wird.
Das Gericht verneinte die Technizität (Beschl. v. 23.5.2007 – 5 W (pat) 422/06). In seiner Begründung ging es im Wesentlichen in drei Schritten vor. Zunächst traf es Feststellungen dazu, worin der Schutzgegenstand besteht. Dabei ging es der Frage nach, welche Hinweise der Schutzanspruch für die konstruktive Ausgestaltung des Gehäuses gab. Hierzu fand es, insoweit nicht verwunderlich, nur wenig Konkretes vor. Da die Ausführung der Bauteile insgesamt ins Belieben des Fachmanns gestellt sei, sei auch Merkmal (6) „wenig aussagekräftig“. Der zweite Begründungsschritt fußte auf dem Ergebnis des ersten, wonach sich der Schutzgegenstand in der Ausstattung eines Mausgehäuses mit Dekorationsobjekten in einem Flüssigkeitsbehälter erschöpfe. Solchermaßen zusammengestutzt, konnte der Gegenstand nur noch als „ästhetische oder spielerische Weiterbildung“ und damit als nicht technisch qualifiziert werden. Im dritten Schritt wandte sich der Senat gegen das Argument des Gebrauchsmusterinhabers, die Herstellung einer Maus mit Flüssigkeit zur Dekoration stelle den Fachmann vor technische Probleme, nicht zuletzt wegen der erforderlichen eine Abschirmung der sensiblen Bauteile im Innenraum vor der Flüssigkeit. Das BPatG berief sich auf die BGH-Rechtsprechung zu Softwarepatenten, wo die Frage der Technizität besonders akut ist (Beschl. v. 13.12.1999 – X ZB 11/98). Hiernach unterliege die Beurteilung einer Wertungsentscheidung, und es sei zu prüfen, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht. Das sei bei der Maus die „ästhetische oder spielerische Funktion“.
So sehr die Entscheidung mit ihrem Endergebnis überzeugen mag, lässt sie doch die Nachteile der gegenwärtigen Beurteilungsmethode zur Frage der Technizität erkennen. Angenommen, es wären bereits Computermäuse mit transparenten Flüssigkeitsbehältern gemäß den Merkmalen (1) bis (4) bekannt, allerdings nur im vorderen Gehäuseteil, dann würden automatisch die Merkmale (5) und (6) in den Vordergrund treten. In diesem Fall ließe sich kaum mehr argumentieren, dem Erfindungsgegenstand ermangele es an technischem Charakter. Bei Merkmal (5) wäre wohl nach wie vor die Aussage des BPatG richtig, dass der Fachmann ihm überhaupt eine konkrete Handlungsanweisung entnimmt. Denn da der Schutzanspruch alle möglichen Gehäuseformen umfasst, kann das Merkmal nicht viel besagen. Hingegen lässt sich Merkmal (6) kaum als untechnisch ansehen. Denn wo ein Bauteil an einem anderen Bauteil zu befestigen ist, ist immer – auch – anhand technischer Überlegungen zu entscheiden. Ob diese dann so nahe liegend sind, dass es an einem erfinderischen Schritt fehlt, sei einmal dahingestellt. Denn das wäre in keinem Fall mehr eine Frage der Technizität.
Im Lichte eines anderen Standes der Technik hätte also dem Merkmal (6) die „Aussagekraft“ gewiss nicht abgesprochen werden dürfen. Das ist zwar hypothetisch. Jedoch darf die Frage, ob eine Erfindung technisch ist, in keinem Fall vom Stand der Technik abhängen. Das geht schon deshalb nicht, weil es keinen einheitlichen „Stand der Technik“ gibt. Im Gebrauchsmusterrecht zählen ausländische offenkundige Vorbenutzungen sowie eigene Vorveröffentlichungen des Anmelders binnen eines halben Jahres vor Anmeldung nicht dazu („Neuheitsschonfrist“), im deutschen und europäischen Patentrecht hingegen ohne weiteres. Im Patentrecht ist der für die Frage der Neuheit maßgebliche Stand der Technik ein anderer als der für die erfinderische Tätigkeit relevante, indem ersterer auch ältere, aber noch nicht veröffentlichte Patentanmeldungen einschließt („Art. 54(3)-Stand der Technik“).
Die Probleme der vom BPatG angewandten Wertungsmethode werden auch deutlich, wenn man den obigen Sachverhalt mit dem älteren BGH-Fall „Computerträger“ vergleicht. Dort ging als zwar um einen zunächst ohne weiteres technischen Gegenstand, der Vergleich mit dem Stand der Technik förderte jedoch nicht eben viele technische Unterschiede zutage. Der BGH bejahte zwar – ohne Rücksicht auf den Stand der Technik – Technizität, kam bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit aber zu dem Schluss, dass die Leistung des „Erfinders“ nur noch auf einer „kaufmännischen Entscheidung“ beruhe und damit nicht mehr erfinderisch sein könne (Urt. v. 12.12.1989 – X ZR 15/87). Somit zieht die deutsche Rechtsprechung dieselben Erwägungen, nämlich darüber, ob sich für den Fachmann eine technische Problemstellung ergibt, für die Prüfung der Technizität wie auch der erfinderischen Tätigkeit heran. Dies erscheint inkonsistent.
Das für die Erteilung europäischer Patente zuständige Europäische Patentamt (EPA) verfolgt in der Frage der Technizität eine großzügigere, aber stringentere Linie. Technischer Charakter wird bereits dann bejaht, wenn der Anspruch technische Gegenstände aufweist (z.B. T 928/03: „… The guide display device according to claim 1 indeed represents a physical entity in particular comprising displaying means which have a technical character by their nature.“). In die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit fließen dann jedoch nur solche Merkmale ein, die einen „technischen Beitrag“ leisten. Diese Methodik bietet den Vorteil besserer Vorhersagbarkeit, was aus deutscher Perspektive aber nicht viel nützt, da die deutschen Teile der vom EPA erteilten Patente mit einer Nichtigkeitsklage vor dem BPatG angegriffen werden können und ihre Gültigkeit in punkto Technizität im Nachhinein doch wieder von der „Wertung“ eines deutschen Gerichts abhängt.