Sind in einer europäischen Patentanmeldung Nukleotid- oder Aminosäuresequenzen offenbart, so hat die Beschreibung gemäß Regel 30(1) EPÜ ein Sequenzprotokoll zu enthalten, das gemäß Artikel 1(1) des Beschlusses des Präsidenten des EPA vom 28. April 2011 in elektronischer Form nach international üblichen WIPO Standard ST.25 einzureichen ist.
Bei Versäumnis kann das Sequenzprotokoll unter Zahlung einer Verspätungsgebühr nachgeholt werden. Letzteres ist besonders dann ärgerlich, wenn die Anmeldung eigentlich keine neuen Sequenzen offenbart und stattdessen lediglich auf aus dem Stand der Technik bereits bekannte Sequenzen unter Angabe der Datenbankzugangsnummern verweist, das EPA in der Praxis aber dennoch auf einer entsprechenden Sequenzliste (und Verspätungsgebührenbezahlung) besteht.
Mit Blick auf die Kosten einer Beschwerde ziehen betroffene Anmelder in der Regel die Einreichung der aus den öffentlichen Datenbanken (auch für das EPA) leicht zu besorgenden Sequenzen und die Zahlung der vergleichsweise günstigeren Verspätungsgebühr vor.
Umso erfreulicher, dass jüngst eine betroffene Anmelderin dennoch Beschwerde einlegte und mit der Beschwerdekammerentscheidung J 8/11 vom 30. Januar 2013 klargestellt wurde, dass diese Praxis des EPA nicht gerechtfertigt ist.
Der Entscheidung J 8/11 lag ein Verfahrensanspruch zugrunde, der in einem ersten Schritt die Ermittlung der Menge von mindestens einem aus dem Stand der Technik bekannten Biomarker gemäß Tabelle 1 umfasste. Die Tabelle 1 nannte 27 Biomarker-Proteine mit ihren gängigen Namen und Datenbankzugangsnummern, nicht hingegen die hinter diesen Angaben stehenden (und insofern überflüssigen) Proteinsequenzen.
In der Entscheidung J 8/11 wurde der Anmelderin durch die Beschwerdekammer bestätigt, dass es keine Notwendigkeit für die Nachreichung dieser Sequenzen des Standes der Technik gab, sofern diese (wie im vorliegenden Fall) eindeutig durch ihre Datenbankzugangsnummern zu identifizieren sind. Mit Blick auf die im Dokument CA/7/92 seinerzeit gegebene Begründung in Vorbereitung der 1993 eingeführten Regel 27a, die im Wesentlichen der heutigen Regel 30(1) EPÜ entspricht, können nur die ursprünglich gewollten neuen (d.h. nicht bereits zum Stand der Technik gehörenden) Sequenzen vom Anmelder eingefordert werden.