Technische Standards können in der Weise von Patenten betroffen sein, dass die Nutzung des Standards ohne Verletzung des Patents unmöglich ist. Um diesem Problem Herr zu werden, sehen Standardisierungsorganisationen Mechanismen vor, nach denen solche Patente von ihren Inhabern als „standardessentiell“ zu deklarieren sind („standardessentielle Patente“ = „SEP“). Dies beinhaltet, dass sich der betreffende Patentinhaber zur Lizenzerteilung an beliebige Interessenten verpflichtet. Da somit die patentierte Technologie dem Markt zur Verfügung gestellt wird, stellt das Patent kein Hindernis mehr für die Entwicklung des Standards dar, wenngleich dessen Nutzung mit Lizenzgebühren belastet wird.
Da hierbei die Höhe der Lizenzgebühren regelmäßig zunächst offen bleibt, entzündet sich an der Gebührenfrage häufig Streit zwischen SEP-Inhabern und Unternehmen, deren Produkte auf die betroffenen Standards zurückgreifen. Wird die Vermarktung solcher Produkte ohne Abschluss eines Lizenzvertrags in Angriff genommen, ist sie grundsätzlich rechtswidrig und mit einer Unterlassungsklage angreifbar. Ist der Patentinhaber allerdings ein marktbeherrschendes Unternehmen im kartellrechtlichen Sinn, kann der Klage unter Umständen der „kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand“ entgegen gehalten werden.
Die Anforderungen an einen solchen Einwand wurden vom BGH durch sein „Orange-Book-Standard“-Urteil aus dem Jahr 2009 ziemlich hoch geschraubt. Danach muss der Beklagte bereits von sich aus ein verbindliches Vertragsangebot ausformuliert und unterbreitet und sogar die Gebühren bereits gezahlt oder wenigstens (beim Amtsgericht) hinterlegt haben (s. Beitrag v. 22.6.2009, zu weiteren Einzelheiten s. Beitrag v. 12.2.2012). Demgegenüber deutet Verlautbarung der EU-Kommission aus dem Jahr 2012 darauf hin, dass eine bloße Verhandlungsbereitschaft schon genügen könnte. Aufgrund dieser deutlich auseinander liegenden Positionen bat nun das Landgericht Düsseldorf den EuGH mit einem Vorlagebeschluss um Klärung.
Nach dessen Lösung (Urt. v. 16.7.2015 – C-170/13 – Huawei Technologies/ZTE Corp.) muss nicht der Beklagte, sondern der Patentinhaber vor Klageerhebung ein verbindliches Lizenzangebot unterbreiten. Lehnt der Gegner dies ab, muss er seinerseits kurzfristig und schriftlich ein Gegenangebot unterbreiten. Erfolgt wiederum eine Ablehnung durch den Patentinhaber, ist von da an Sicherheit zu leisten, falls die strittige Standardnutzung fortgesetzt werden soll.
Kommt es dann zur Unterlassungsklage, hängt der Zwangslizenzeinwand davon ab, welches der beiden Vertragsangebote das Gericht für angemessen hält. Offen bleibt, wie zu verfahren ist, wenn das Gericht die Lizenzforderung des Patentinhabers für überhöht, das Gegenangebot aber für zu niedrig hält. Möglicherweise können Beklagte die sich daraus ergebenden Risiken eindämmen, indem sie ein zweites Angebot unterbreiten, das die Bestimmung der angemessenen Lizenzhöhe am Ende dem Gericht überlässt und unter der Bedingung steht, dass das vorrangige Angebot vom Gericht für unzureichend befunden wird.
Allerdings wies der EuGH auch darauf hin, dass der Zwangslizenzeinwand nicht für die Haftung von Patentverletzern auf Schadensersatz und Rechnungslegung gilt. Da diese Haftung schärfer ist als die auf Zahlung von Lizenzgebühren, folgt hieraus ein Anreiz für Standardnutzer, von allzu dürftigen Gegenangeboten abzusehen.
Nicht angesprochen hat der EuGH die Frage, ob aus der Inhaberschaft eines SEP bereits eine „marktbeherrschende Stellung“ folgt, so dass der Zwangslizenzeinwand gegenüber jedem SEP möglich ist. Der Generalanwalt, auf dessen Stellungnahme hin das EuGH-Urteil erging, hatte sich für „widerlegliche Vermutung“ der marktbeherrschenden Stellung ausgesprochen, die der SEP-Inhaber zu entkräften hätte. Der EuGH ging hierauf jedoch nicht ein, nachdem das Landgericht Düsseldorf keine Vorlagefragen hierzu gestellt hatte.