Bei einem erteilten europäischen Patent besteht die Rechtsvermutung, dass die im Patent offenbarte Erfindung von einem Fachmann unter Heranziehung der in der Patentschrift enthaltenen Angaben sowie ggf. des allgemeinen Fachwissens nachgearbeitet werden kann. In einem Einspruchsverfahren kann die Rechtsvermutung durch den Vortrag des Einsprechenden widerlegt werden, wenn dieser ernsthafte Zweifel an der Ausführbarkeit hervorruft und die Zweifel durch nachprüfbare Fakten untermauert werden (vgl. Entscheidungen T 19/90 vom 3. Oktober 1990, Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe oder T 0967/09 vom 4. November 2014, Nr. 6 der Entscheidungsgründe). Der Einsprechende muss dazu Argumente und Tatsachen vorbringen und substantiiert darlegen, weshalb diese die mangelnde Ausführbarkeit begründen. Werden die behaupteten Tatsachen bestritten, muss der Einsprechende diese beweisen. Er trägt dabei die Beweislast. Dies bedeutet, dass verbleibende Zweifel dem Patentinhaber zugutekommen und zu einer Zurückweisung des Einspruchsgrunds der mangelnden Ausführbarkeit führen.
Sind die vom Einsprechenden vorgetragenen Argumente hingegen schlüssig und werden seine behaupteten Tatsachen durch Beweismittel ausreichend substantiiert (oder nicht bestritten), wird die ursprünglich bestehende Rechtsvermutung widerlegt und es kommt zu einer Beweislastumkehr. Es liegt nun am Patentinhaber nachzuweisen, dass die Erfindung entgegen dem Vortrag des Einsprechenden doch nachgearbeitet werden kann (beispielsweise durch das Beibringen von experimentellen Daten / Versuchsergebnissen). Dabei verbleibende Zweifel gehen nun zulasten des Patentinhabers und verhelfen dem Angriff auf die Ausführbarkeit zum Erfolg.
In einem kürzlich von der Beschwerdekammer 3.3.05 behandelten Fall (Entscheidung T 1076/21 vom 26. Mai 2023) hatte eine Einsprechende im erstinstanzlichen Verfahren Argumente gegen die Ausführbarkeit vorgebracht, die zu einem Widerruf des Patents geführt hatten. In dem sich anschließenden Beschwerdeverfahren ging es unter anderem um die Frage, ob durch die erstinstanzliche Entscheidung die Rechtsvermutung der Ausführbarkeit automatisch widerlegt wurde und die Beweislast hinsichtlich der Ausführbarkeit auf die Patentinhaberin übergegangen war. Die Beschwerdekammer verneinte dies jedoch und stellte klar, dass formale Gründe, wie das Vorliegen einer erstinstanzlichen Entscheidung, keine Beweislastumkehr bewirken könnten, sondern dass es allein auf das Vorliegen ernsthafter, durch nachprüfbare Fakten untermauerter Zweifel gegen die Ausführbarkeit ankomme.
Anstatt selbst Beweismittel zur Ausführbarkeit der Erfindung vorzulegen, argumentierte die Patentinhaberin erfolgreich, dass die Erwägungen der Einspruchsabteilung, die zum Widerruf des Patents geführt hatten, falsch waren und dass der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit nicht ausreichend durch nachprüfbare Fakten untermauert wurde. Zwar standen sich von den Parteien behauptete widersprüchliche Tatsachen zur Ausführbarkeit gegenüber, die von keiner der Parteien ausreichend durch Beweismittel belegt wurden. Da die Beweislast jedoch noch bei der Einsprechenden lag, gingen die Zweifel an den von ihr behaupteten Tatsachen zu ihren Lasten, was schließlich zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung führte.
Ein von der Einsprechenden in Erwiderung auf die vorläufige Meinung der Beschwerdekammer vorgelegtes Gutachten wurde im Übrigen als verspätet angesehen und nicht in das Verfahren zugelassen.
Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die Geltendmachung des Einspruchsgrunds der mangelnden Ausführbarkeit einigen Aufwand erfordert, den Einsprechende bereits in Vorbereitung des erstinstanzlichen Verfahrens auf sich nehmen sollten, um den Einspruchsgrund ausreichend, beispielsweise durch die Vorlage von eigenen experimentellen Daten oder Versuchsergebnissen, untermauern zu können.