Das deutsche Urheberrechtsgesetz sieht urheberrechtlichen Schutz nicht nur im Bereich der zweckfreien Kunst, sondern auch für Werke der angewandten Kunst vor (s. z.B. zum Schutz von Möbeldesigns Beitrag v. 29.4.2008). Nach althergebrachter Praxis galt in diesem Bereich aber eine erhöhte Schutzschwelle, d.h. es muss ein höherer Grad an „Schöpfungshöhe“ erreicht werden als bei Werken der zweckfreien Künste. Denn Neuschöpfungen im Bereich der angewandten Kunst sind seit jeher dem Geschmacksmusterschutz zugänglich, und das gesamte Geschmacksmusterrecht wäre sinnentleert, wenn der vor allem zeitlich (Schutzdauer 70 Jahre ab dem Tod des Urhebers) wesentlich weiter reichende Schutz für Werke der angewandten Kunst regelmäßig greifen würde. Dies hatte bereits das Reichsgericht so gesehen (RG, Urt. v. 10.6.1911 – I 133/10 – Frakturschrift), und so bestätigte es auch das Bundesverfassungsgericht knapp 100 Jahre später (BVerfG, Beschl. v. 26.1.2005 – Laufendes Auge). Damit also eine neue Gestaltung nicht nur als Geschmacksmuster, sondern auch urheberrechtlich schutzfähig war, musste sie Durchschnittsgestaltungen deutlich überragen. Man sprach von „großer Münze“ im Bereich der angewandten Kunst, wohingegen sonst im Regelfall die „kleine Münze“ galt, d.h. ein gewisses Überragen des Alltäglichen kann genügen.

Dieses Stufenverhältnis hat der BGH nun beseitigt. Nach seiner Entscheidung „Geburtstagszug“ sind im Bereich der angewandten Kunst grundsätzlich keine anderen Anforderungen mehr zu stellen als bei anderen Werkarten (Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 143/12). Der Hauptgrund für diese fundamentale Neuausrichtung der Rechtsprechung liegt in einer Änderung des Geschmacksmusterrechts, die insbesondere die Schutzkriterien und Schutzrichtung betrifft. Im Gefolge der europäischen Harmonisierung dieses Rechtsgebiets vor rund zehn Jahren wurde das Erfordernis einer bestimmten Gestaltungshöhe („Eigentümlichkeit“) abgeschafft und durch ein Kriterium der Unterschiedlichkeit zu anderen Gestaltungen („Eigenart“) ersetzt (s. Beitrag v. 25.7.2007). Hieraus leitete der BGH nun ab, dass das Geschmacksmusterrecht nicht mehr als „wesensgleiches Minus“ zum Urheberrecht begriffen werden könne. Das Erfordernis der „großen Münze“ lasse sich daher nicht aufrechterhalten.

Es wird also künftig leichter sein, urheberrechtlichen Schutz im Bereich der Gebrauchsartikel geltend zu machen, etwa wenn eine Geschmacksmusteranmeldung versäumt worden ist. Allerdings wies der BGH auch darauf hin, dass der urheberrechtliche Schutz an einen künstlerischen Einfluss auf die Gestaltung anknüpfen müsse. Soweit die Gestaltung durch einen Gebrauchszweck bedingt ist, kommt Urheberrechtsschutz nicht in Betracht. Von daher ist kaum zu erwarten, dass Geschmacksmuster künftig überflüssig werden (zu den Schutzanforderungen dafür s.a. Beitrag v. 15.6.2010).