Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Auslegung der Biopatentrichtlinie vorgelegt, die das Gebiet der embryonalen Stammzellen betreffen.

Am 17.Dezember 2009 verkündete der BGH den Beschluss Xa ZR 58/07, „Neurale Vorläuferzellen“, der die Interpretation des Artikels 6 der Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen im Hinblick auf die Interpretation des Begriffs „menschlicher Embryo“ betrifft.

Der Beschluss zitiert die folgenden Rechtsfragen, die dem EuGH nach Art.267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäische Union (AEUV) zur Vorabentscheidung vorgelegt wurden:

1. Was ist unter dem Begriff „menschliche Embryonen“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG zu verstehen?

a) Sind alle Entwicklungsstadien menschlichen Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder müssen zusätzliche Voraussetzungen wie zum Beispiel das Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstadiums erfüllt sein?

b) Sind auch folgende Organismen umfasst:

(1) unbefruchtete menschliche Eizellen, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist;

(2) unbefruchtete menschliche Eizellen, die im Wege der Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden sind?

c) Sind auch Stammzellen umfasst, die aus menschlichen Embryonen im Blastozystenstadium gewonnen worden sind?

2. Was ist unter dem Begriff „Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ zu verstehen?

Fällt hierunter jede gewerbliche Verwertung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, insbesondere auch eine Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung?

3. Ist eine technische Lehre auch dann gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die Verwendung menschlicher Embryonen nicht zu der mit dem Patent beanspruchten technischen Lehre gehört, aber notwendige Voraussetzung für die Anwendung dieser Lehre ist,

a) weil das Patent ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert,

b) oder weil das Patent ein Verfahren betrifft, für das als Ausgangsmaterial ein solches Erzeugnis benötigt wird?

Die Vorgeschichte zu dieser Entscheidung stellt sich wie folgt dar: am 29. April 1999 erteilte das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) dem Stammzellforscher Oliver Brüstle ein deutsches Patent auf isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen sowie auf ein Verfahren zur Herstellung solcher Zellen aus embryonalen Stammzellen.

Daraufhin beantragte der Kläger, Greenpeace e.V., beim Bundespatentgericht (BPatG), das Patent wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten für nichtig zu erklären, soweit die Patentansprüche Vorläuferzellen umfassen, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen worden.  Das BPatG gab der Klage überwiegend statt und erklärte das Patent in dem Umfang für nichtig, soweit es Zellen umfasst, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden.  Insoweit verstoße der Gebrauch der Erfindung nach § 2 Abs.2 des Patentgesetzes, aber auch nach der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten.

Gegen diese Entscheidung des BPatG legte der beklagte Patentinhaber Berufung zum BGH ein, der das Verfahren aussetzte und die oben zitierten Rechtsfragen dem EuGH vorlegte.  Zur Entscheidung dieses Rechtsstreits kommt es nämlich darauf an, wie § 2 des deutschen Patentgesetzes zu interpretieren ist, der Patente für „die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ ausschließt (§2 Abs.2 Nr. 3 PatG) – dies ist der gleiche Wortlaut, wie er in Art. 6 Nr. 2 (c) der Richtlinie vorgegeben ist, die in das deutsche Patentgesetz implementiert wurde.

Dem BGH zufolge ist Art. 6 der Richtlinie unklar in mehrerer Hinsicht – was ist unter dem Begriff „menschliche Embyonen“ genau zu verstehen?  Ist eine Stammzelle, die aus einer Blastozyste gewonnen wurde, auch ein „Embyo“, sogar dann, wenn diese sich nicht einmal in ein menschliches Individuum entwickeln kann?  Und ist eine „Blastozyste“ ein „Embyo“ im Sinne des Art.6 der Richtlinie?  Diese Frage kann dann relevant werden, wenn die beanspruchten menschlichen Stammzellen (die selber keine Embryonen sind) aus Blastozysten stammen, welche zur Gewinnung der Stammzellen notwendigerweise zerstört werden müssen.

Ein ähnlicher Sachverhalt wurde schon vorher von der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in G 02/06 entschieden („Verwendung von Embryonen“/WARF), wonach Europäische Patente nicht für Produkte erteilt werden dürfen, die am Anmeldetag des Patents die Zerstörung von menschlichen Embryonen verlangen, sogar wenn dieses Verfahren nicht Teil der Ansprüche ist.